Morgens aufstehen, im Café eine Tasse Kaffee trinken, im Innenhof Übungen machen, dann in die Berge gehen, um dort zu meditieren und nachmittags angeln oder auf dem Feld arbeiten. So sieht der Tagesablauf in einem „Youth Retreat“ aus, die derzeit ein heiß diskutiertes Thema geworden sind.
Der 32-jährige Lu Leilei ist bereits in mehr als 20 Länder gereist und hat währenddessen den Begriff „längere Auszeit“ kennengelernt. In seiner bisherigen beruflichen Laufbahn hat er bereits eine Jugendherberge betrieben und anschließend als Reiseleiter gearbeitet. Lu sagt, er sei zutiefst besorgt über die Verwirrung der jungen Menschen in großen chinesischen Städten und verstehe in diesem Zusammenhang ihren Wunsch nach einem friedlichen Rückzugsort.
„Viele fragen sich, warum so viele Menschen bereits in ihren jungen Jahren in den Ruhestand gehen möchten. In der Tat gibt es in der modernen Gesellschaft viele Menschen, die in ihren Dreißigern ihre Lebensziele verloren haben. Ich war einer von ihnen, deswegen verstehe ich ihr Bedürfnis nach einem Tapetenwechsel, wenn sie verloren sind.“ Dies sei keine Empfehlung zum Nichtstun, sondern eine Einstellung, dass junge Menschen eine kurze Pause einlegen und dann wieder auf ihre Lebensziele zusteuern sollten. Daher sei er zu der Idee gekommen, ein Rückzugsheim für junge Menschen auf die Beine zu stellen, so Lu Leilei.
Der „Youth Retreat“ von Lu Leilei ist eine kleine Einrichtung mit insgesamt zwölf Zimmern für junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren. Lu bittet seine Gäste, mindestens einen Monat lang zu bleiben. So könnten sie das neue Leben der Ruhe und Entspannung intensiver erleben, als wenn sie nur einen gewöhnlichen Urlaub machten. „Ich sorge dafür, dass die Leute auf dem Ackerland arbeiten, rudern, Fotografie erlernen oder gemeinsam Tee trinken, sodass sie voneinander lernen und ihre Sorgen und Ängste abbauen können, während sie Zeit miteinander verbringen.“
Am Abend sitzen die jungen Menschen manchmal am Lagerfeuer und plaudern. So sprechen sie offenherzig über ihre Probleme und emotionale Verwirrung. Etliche Soziologen gehen davon aus, dass es sich beim „Youth Retreat“ um einen Versuch junger Menschen handelt, ihre psychischen Probleme selbst zu heilen.
Yuan Lizhuang, außerordentlicher Professor an der Pädagogischen Hochschule der Provinz Hebei und Generalsekretär der Hebei Provincial Psychological Association, sagt, der „Youth Retreat“ sei ein Ort, an dem junge Menschen, die unter Druck stünden, sich entspannen könnten. „Neben professioneller psychologischer Beratung haben wir Grund zu der Annahme, dass Menschen, die Stress ausgesetzt sind, auch über gewisse psychologische Selbstheilungskräfte verfügen. Wir müssen jungen Menschen gegenüber tolerant sein und sie anleiten, Schwierigkeiten im Leben positiv zu begegnen. Wir sollten ihr Bedürfnis nach Entspannung und emotionaler Zuwendung verstehen.“
Inspiriert von Lu Leilei sind in einigen Teilen Nordchinas mittlerweile neue „Youth Retreats“ entstanden. Li Xiaolan, eine junge Frau aus Beijing, hat beispielsweise den Hof ihres Onkels in Xingtai in der nordchinesischen Provinz Hebei in ein „Youth Retreat“ umgewandelt, das jetzt für den Betrieb geöffnet ist. Hier können junge Leute Tee trinken, Karten spielen oder basteln.