Dieser Tage stieß ich auf einige Grafiken der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung zahlreicher Länder der Welt. Besonders auffällig war die Entwicklung des BIP von China. Es gehört zum Allgemeinwissen, dass Chinas Wirtschaft sich in den zurückliegenden Jahrzehnten sehr dynamisch und kraftvoll entwickelt hat. Aber die durch einen Statistikdienst über China gezeigte Kurve war denn doch sehr beeindruckend. Die Entwicklung seit etwa 1980 ließ sich nicht mit dem Anstieg auf einen hohen Berg vergleichen, sondern vermittelte den Eindruck des Startes einer Rakete.
In der Tat: Das Jahr 2023 markiert den 45. Jahrestag der Reform und Öffnungspolitik, die China vom Ausgangspunkt eines armen Landes bereits vor mehr als 10 Jahren zur zweitstärksten Volkswirtschaft weltweit aufsteigen ließ.
Erinnern wir uns: Auf der 3. Plenartagung des 11. Zentralkomitees der KP Chinas, die vom 18. bis zum 22. Dezember 1978 stattfand, hat man beschlossen, den Arbeitsschwerpunkt der Politik auf die sozialistische Modernisierung zu legen. Die Tagung war die „Geburtsstunde“ dessen, was wir als „Reform- und Öffnungspolitik“ bezeichnen. Geprägt ist dieser Begriff durch die Elemente „Reform“ und „Öffnung“. „Reform“ bedeutet dabei, dass durch eine Erneuerung im Inneren das Wirtschaftssystem von allen die Produktivkraft hemmenden Hindernissen befreit werden sollte. Hierzu wurde das sogenannte Reformprogramm der vier Modernisierungen eingeführt, das sich auf die Landwirtschaft, die Industrie, die Verteidigung Chinas und die Wissenschaft und Technik bezog. Und dies war zugleich die „Geburtsstunde“ dessen, was wir heute als „Sozialismus chinesischer Prägung“ bezeichnen.
Mit der Reform im Inneren einhergehen sollte eine Öffnung Chinas nach außen, der Welt gegenüber. Und dabei ging man behutsam und sensibel vor. Deng Xiaoping beschrieb diese Öffnungspolitik bildreich: Er versuche den Fluss zu überqueren, indem er vorsichtig nach Steinen im rauschenden Wasser taste. Wer zu rasch ans andere Ufer will, scheitere. Es wurde also der Weg von Pilotprojekten zu deren Ausweitung nach ihrem Erfolg beschritten. Dementsprechend wurde die Öffnung nach außen begonnen mit der Errichtung von vier Wirtschaftssonderzonen (darunter u.a. Shenzhen), ging über die Öffnung der Küsten-, Fluss- und Grenzgebiete bis zur vollen Beteiligung an der wirtschaftlichen Globalisierung.
Und die chinesische Staatsführung hat diesen Weg immer aufmerksam verfolgt und begleitet. Zu nennen ist vor allem die 3. Plenarsitzung des 18. ZK vor 10 Jahren, die eine umfassende Vertiefung der Reform beschlossen hat. Der Schlüssel bei der Vertiefung der Reformen liege in einer Reform der Wirtschaftssysteme. Vor allem solle das Verhältnis zwischen Regierung und Markt richtig behandelt werden, damit der Markt bei der Verteilung von Ressourcen eine entscheidende Rolle spiele. Weiter hieß es, Ziel der Reformen sei es, das sozialistische System chinesischer Prägung mit verschiedenen Eigentumsformen zu vervollständigen und zu entwickeln und das Verwaltungssystem des Staates zu modernisieren. Und die damalige und heute weiterhin gültige Botschaft für die Weltwirtschaft: Die Plenarsitzung versprach erneut die Unterstützung der Entwicklung einer offenen Wirtschaft. Denn während viele Länder zunehmend Handelsprotektionismus betrieben, kam aus China das Versprechen einer starken Unterstützung eines freien globalen Handelssystems.
Halten wir fest: China kann mit Stolz auf das 10jährige Jubiläum der umfassenden Vertiefung der Reform und das 45jährige Jubiläum der Reform und Öffnung blicken.
Dr. jur. Michael Borchmann
Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten
Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.
Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China