Ursula von der Leyen hat zum Volk gesprochen. Mehr oder minder zu ihrem Volk, von dem sie zur EU-Kommissionspräsidentin niemals ad personam gewählt worden war und von dem sie (entsprechend jüngsten Umfragen) mehrheitlich abgelehnt wird.
In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union sprach die deutsche Politikerin, einst von Angela Merkels Gnaden auf ebendiesen Posten gehievt, viel über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine, über das Problem der europaweiten Inflation, über Umwelt- und Zukunftssorgen der jungen Menschen. Und über China.
Die Tatsache, dass China mit seinen e-Autos den europäischen Markt (so wörtlich) überschwemme, sei ein untragbarer Zustand und sollte einer grundlegenden Wettbewerbsüberprüfung unterzogen werden.
Wieder einmal hat Ursula von der Leyen China den Fehdehandschuh entgegengeworfen. Zum wiederholten Male ist das ein schwerer Fehler.
Ja, es stimmt: Chinas e-Auto-Giganten wie BYD, Nio, Xpeng geben ihr Bestes, um im globalen Wettbewerb an der Spitze zu stehen. E-Autos aus China sind technisch von höchster Qualität, weisen eine erstaunliche Reichweite auf und brauchen auch beim Preis-Leistungsverhältnis den Vergleich mit den Mitbewerbern nicht zu scheuen. Und China vorzuwerfen, dass die Autokonzerne staatliche Förderung aus der Heimat beziehen, ist lächerlich. Die Europäische Union hat sich seit Jahren - vor allem gestützt auf das Argument der Umweltfreundlichkeit - zur Förderung der e-Mobilität verpflichtet. Eine ausreichend starke Unterstützung der europäischen Wirtschaft in diesem Segment findet aber bis dato nicht statt. Das ist ein Fehler der EU und kein Fehler Chinas.
In der Wahrheit geht es aber ohnedies um etwas ganz anderes. Im Juni 2024 stehen EU-Wahlen an und die politischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass man immer dann Stärke gegen einen "imaginären Feind" von außen zeigen muss, wenn man sein Land, seine Region oder eben in diesem Fall die EU-Internas nicht im Griff hat. Wenn man schlichtweg schwach ist und droht, zu scheitern.
China war in den letzten Jahrzehnten immer wieder auch im Vorfeld von US-Wahlen, die 2024 ebenfalls anstehen und höchst emotional zu werden drohen, ein sehr beliebter Reibebaum, um Stärke nach innen gegen den "imaginären Feind" von außen demonstrieren zu können. Ursula von der Leyen wird seit Jahren vorgeworfen, hinter den USA hinterher zu hecheln und deren taktische Spielchen zu kopieren.
Das ist der leicht durchschaubare Hintergrund für die Attacke der EU-Kommissionspräsidentin gegen die e-Autos aus China. Durchschaubar, billig und vor allem wieder einmal zum Nutzen von Niemandem.
Kein Wunder, dass sich die Gerüchte täglich mehren, dass die gute Frau an der Spitze der Europäischen Union bald Geschichte sein könnte.
MARTIN SÖRÖS, FREIER JOURNALIST AUS ÖSTERREICH