Am Ende des Jahres 2022 wurde in Beijing die erste Sitzung des 14. Chinesischen Nationalen Volkskongresses (NVK) für den 5. März 2023 terminiert.
Ich habe den Eindruck, bei uns in den westlichen Staaten ist über dieses System fast nichts bekannt. Daher fällt auch von China feindlich gesonnener Seite betriebene Hetze gegen das von westlichen parlamentarischen Demokratien abweichende System leider auf manch fruchtbaren Boden. Man behauptet dreist, China habe keine Demokratie, sondern sei schlicht eine Diktatur. Eine solche Behauptung erweist sich bei näherer Betrachtung des durch den NVK geprägten chinesischen Systems als nichts anderes als eine auf Verdummung der Menschen abzielende Polemik.
Der Gedanke der „Demokratie“ wurde bereits im klassischen Griechenland in seiner ursprünglichen Form als „Herrschaft durch das Volk“ definiert. Und in welchem großen Maße das Volk herrscht, dokumentiert das NVK-System. Das höchste staatliche Organ der VR China ist der Nationale Volkskongress, zuständig für die Verabschiedung von Gesetzen, den Haushalt, bedeutende Grundsatzentscheidungen und die wichtigen Personalentscheidungen. Und der Nationale Volkskongress ist die Vertretung der Menschen in China. Ebenso gibt es regionale und lokale Volkskongresse in den Provinzen und Autonomen Gebieten, ferner in den Städten, Gemeinden und Kreisen. Bislang gibt es mehr als 2,62 Millionen Abgeordnete des Nationalen Volkskongresses auf fünf Ebenen, von der Zentralregierung über die Provinz-, Bezirks-, Stadt-, Kreis- und Gemeindeebene, die alle eine breite Wählerschaft haben und auf verschiedenen Ebenen gewählt werden. 33 ethnische Minderheiten mit besonders kleinen Bevölkerungszahlen haben alle einen Sitz im Nationalen Volkskongress. Zwar werden nur die Volkskongresse auf der unteren Ebene unmittelbar gewählt, diejenigen auf Provinzebene und staatlicher Ebene durch mittelbare Wahl mittels der rangniedrigeren Volkskongresse. Aber auch eine solche mittelbare Wahl ist eine demokratische Wahl. Zum Vergleich: Der US-Präsident wird ebenfalls nicht unmittelbar durch die Bevölkerung gewählt.
Forderungen an China, das auf einer völlig anderen kulturellen Entwicklung beruhende System des Westens übernehmen zu sollen, sind einfach nur anmaßend. Ja, sie erinnern fatal an die dunklen Zeiten des Kolonialismus, als die Kolonialmächte anderen Ländern ihr eigenes System aufzwangen. Der frühere Deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, von einem namhaften Magazin einmal als „der letzte deutsche Staatsmann“ bezeichnet, hat sich in dieser Sache wiederholt sehr weise geäußert. Er sagte, dass nichts dafür spreche, dass die Chinesen unser auf völlig anderen historischen Grundlagen beruhende System übernehmen müssten. Warum sollten sie auch? Es sei alleinige Sache Chinas, über sein politisches System zu entscheiden. Und keinesfalls Sache der Ausländer und des Westens. Ich persönlich vermisse die Klugheit, die Weisheit eines Helmut Schmidt sehr in diesen unseren Tagen.
Dr. Michael Borchmann
Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten
Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.
Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China