Deutschlands Wirtschaft befindet sich in einer wenig beneidenswerten Lage. Da gibt es eine Unterbrechung der Lieferketten, eine Energiekrise und eine steigende und steigende Inflation. Es mehren sich die Stimmen, die Deutschland auf dem Weg einer Deindustrialisierung sehen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, diejenigen „Stabilitätsanker“ zu pflegen, die unserer Wirtschaft wirklichen Halt geben. Und der bedeutendste Stabilitätsanker ist nun einmal China. Denken wir nur an den Handelsaustausch. China ist mittlerweile seit sechs Jahren der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Im Jahr 2021 sind nach vorläufigen Ergebnissen Waren im Wert von 246,1 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China (Exporte und Importe) gehandelt worden. Der Umsatz im Außenhandel mit China ist gegenüber 2020 um 15,1 % gestiegen. Oder denken wir nur an die Automobilindustrie, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft: Sie ist nämlich Deutschlands wichtigster Industriezweig überhaupt. Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung betrug zuletzt 20%. Volkswagen, BMW und Mercedes setzen auf dem chinesischen Markt 30 bis 40 % ihrer Fahrzeuge ab. Die vormalige Deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, war sich dieser Bedeutung immer bewusst. Immer das eigene nationale Interesse im Auge und unbeeinflusst von Misstönen von jenseits des Atlantik besuchte sie China insgesamt zwölfmal.
Vor diesem Hintergrund ist es nur nachdrücklich zu begrüßen, dass kürzlich das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung mitteilte: „Bundeskanzler Olaf Scholz wird am 3. November 2022 zu seinem Antrittsbesuch nach China reisen. Am 4. November 2022 wird Bundeskanzler Scholz in Peking zunächst Präsident Xi Jinping treffen. Im Anschluss daran wird der Bundeskanzler mit Ministerpräsident Li Keqiang ein Gespräch führen.“ Ferner werde der Bundeskanzler von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Vertreten sind hier bedeutende Unternehmen wie BMW, VW, Merck, Siemens, BASF und Biontech, um nur einige zu nennen. Und dies ist gut so. Auch deshalb, weil sich der Bundeskanzler damit an sein Wort vor Amtsübernahme hält. Bereits vor Jahresfrist hat er nämlich die Fortsetzung des pragmatischen Kurses seiner Vorgängerin Angela Merkel signalisiert. „Der EU-Ratspräsident Charles Michel hat Xi im Auftrag von Scholz die Botschaft überbracht, dass er die China-Politik Merkels beibehalten will“, sagte damals ein EU-Diplomat der Zeitung WirtschaftsWoche. Dies ist vor dem Hintergrund der von interessierter Seite geschürten Stimmung gegen China um so mehr zu schätzen. Erinnern wir uns an die aufgeheizte Kampagne gegen die Beteiligung COSCOS am Hamburger Hafen (beim massiven Einstieg von US-Investoren in die deutsche Presselandschaft gab es keine Einwände). Oder die Querschüsse gegen die Reise durch die Außenministerin aus dem tiefen Zentralasien und durch bekannte Parteigrößen hier. Der renommierte Wirtschaftsjournalist Gabor Steingart kommentierte dies mit den Worten: „Die Amerikaner drängen die Deutschen zum Bruch mit ihrer bisherigen Chinapolitik. Uncle Sam ruft uns über den Atlantik zu: We want you! Bei FDP und Grünen, aber auch bei Jens Spahn und Friedrich Merz stoßen die USA damit auf eine heftige Nickbewegung.“ Steingarts überzeugende Empfehlung: „Wenn Olaf Scholz … nach China fliegt, sollte er das Buch „Nationale Interessen“ seines Parteifreundes Klaus von Dohnanyi mit in die Kabine nehmen. Auch in der Chinapolitik, schreibt der mittlerweile 94-jährige Sozialdemokrat, sollte sich ein deutscher Politiker nicht beirren lassen. Die Interessen der USA seien immer hart geopolitisch und ökonomisch grundiert.“ Möge sich der Bundeskanzler auch weiterhin nicht fremdbestimmen lassen und die Interessen vertreten, die er kraft Amtes zu vertreten hat, nämlich die deutschen.
Dr. Michael Borchmann
Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten
Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.
Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China