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Taiwan: Besuch der alten Dame

04.08.2022 09:27:00

In der Schule lasen wir Werke des bekannten Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt, darunter auch den „Besuch der alten Dame.“ Die Handlung: Nach 45 Jahren kehrt eine inzwischen alte Dame in ihre Heimatstadt namens Güllen zurück, um dort Unruhe und Gewalt zu stiften.

Diese Geschichte taucht aus meiner Erinnerung auf, wenn ich an den aktuellen Besuch der „alten Dame“ Nancy Pelosi (82) in Taiwan denke. Diese Frau, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, ist selbst in ihrer eigenen Partei nicht unumstritten. So formulierte etwa die Süddeutsche Zeitung einmal, dass sie in ihrer eigenen Partei „von manchen wie ein Giftpilz behandelt werde, der sich plötzlich aus dem feuchten Waldboden erhebt.“ Und auch ihr aktueller Besuch war selbst in den USA auf Bedenken gestoßen: So bewertete das US-Militär den Besuch als „keine gute Idee“. Präsident Biden schloss sich diesen Bedenken an. Wohl vor dem Hintergrund: An einer Zunahme der Spannungen in der Taiwanstraße kann niemandem gelegen sein. Unbeeindruckt von solch Überlegungen der Vernunft führte Frau Pelosi jedoch ihre Reise trotz der Warnungen Chinas durch. Das chinesische Außenministerium wertete denn den Besuch auch als schwerwiegenden Verstoß gegen den Ein-China-Grundsatz und die Bestimmungen der drei gemeinsamen Kommuniqués zwischen China und den USA. Er stelle eine ernsthafte Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Chinas dar.

Wenn wir, was heute leider kaum geschieht, in die Geschichte schauen, so erscheint die harsche Reaktion Chinas sehr plausibel. Hatten wir nicht zur Zeit der Teilung Deutschlands die Hallstein-Doktrin mit dem Anspruch, dass die Bundesrepublik die gesamte deutsche Bevölkerung vertrete? Gab es nicht massive Reaktionen auf diplomatische Kontakte anderer Staaten mit der damaligen DDR? Oder: standen wir 1962 nicht vor einem nuklearen Weltbrand, weil die damalige Sowjetunion begonnen hatte, effektive Waffen an ihren Verbündeten Kuba zu liefern, und die USA mit Nachdruck jegliche Aktivitäten einer gegnerischen Macht „vor ihrer Haustüre“ unterbanden?

Es bleibt nur zu hoffen, dass trotz des langjährigen Anti-China-Affronts Pelosis der Besuch der alten Dame aus Baltimore nicht die bösen Folgen hat wie der von Dürrenmatts alter Dame aus der fiktiven Kleinstadt Güllen.

 

Dr. Michael Borchmann

Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten

Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.

Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China

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