1960 – es war das Jahr der Ratte, das Element des Jahres war Metall: Als ich an einem Sonntag im November das Licht der Welt erblickte, gab es sie bereits seit gut sechs Monaten, die deutschen Sendungen von Radio Peking. Am 15. April desselben Jahres hatte nämlich der chinesische Auslandsrundfunk zum ersten Mal eine Sendung in deutscher Sprache produziert und über die Kurzwelle nach Europa übertragen. In China herrschte in jenen Tagen eine schwere Hungersnot und sowohl in Politik und Wirtschaft, als auch in der Gesellschaft und Kultur war vieles im Umbruch. Es waren unruhige Zeiten im Land. Weit beschaulicher als im revolutionären China ging es damals in dem kleinen Schwarzwalddörfchen zu, in dem ich aufgewachsen bin. Die Straßen waren noch nicht asphaltiert, in meinem Elternhaus war gerade das elektrische Licht installiert worden und in der ganzen Gemeinde gab es meines Wissens gerade einmal drei Autos und zwei Telefonapparate.
In diesem Jahr 2015 feiern wir, die Deutsche Redaktion von Radio China International und ich, beide den 55. Geburtstag. Es ist ziemlich genau 40 Jahre her, dass ich zum ersten Mal die Programme aus Beijing auf meinem Weltempfänger hörte. Mit dem neuen Radio hatte ich mir einen Kindertraum erfüllt. Jahrelang hatte ich auf mein erstes Kurzwellengerät gespart. Von nun an ließ mich die Begeisterung für dieses Medium nie wieder los. Ich erinnere mich noch gut daran, wie entrückt und fasziniert ich den fernen Klängen lauschte, die da leicht verrauscht aus den Lautsprechern zu meinen Ohren drang. Als junger, fünfzehnjähriger Schüler wusste ich noch nicht allzu viel über China und all seine revolutionären Umwälzungen. So hörte ich von Radio Peking zum ersten Mal von der Kulturrevolution und von den Veränderungen im Land. Berichte über das Leben, die Kultur, die Geschichte und die Menschen öffneten mir Augen und Herz für eine Kultur, die mir bisher ganz und gar fremd und verschlossen war und die nun mehr und mehr meine Neugier weckte. Das Abendprogramm aus der chinesischen Hauptstadt wurde schon bald zu meinem regelmäßigen Begleiter. Zugleich begann ich damit, Briefe und Empfangsberichte an die deutsche Redaktion von Radio Peking zu schicken. Die Freude war jedes Mal groß, wenn ich dann in Gegenzug Post aus China aus meinem Briefkasten herauszog. „Die Pagode von Yenan" – das war der Titel der ersten QSL-Karte, die noch heute meine große Sammlung schmückt. Auch ein prächtiger roter Wimpel, mit geheimnisvollen chinesischen Schriftzeichen gehört zu den ganz frühen Zeugnissen meiner Beziehung zum chinesischen Auslandsrundfunk. Heute weiß ich, dass sich hinter den fremdartigen Symbolen auf dem Wimpel einfach der Name „Radio Peking" verbarg. Später kamen aus der chinesischen Hauptstadt auch Päckchen und sogar Pakete an: Bücher mit Werken des Vorsitzenden Mao, Zeitungen wie z.B. die „Peking Rundschau", „China im Aufbau" und „China im Bild" – so konnte ich mir auch visuell ein Bild vom Leben im neuen China machen. Besonders schön waren die großformatigen chinesischen Wandkalender, die jedes Mal ein ganzes Jahr lang die Wand meines Jugendzimmers schmückten.
Die Jahre vergingen und die Welt veränderte sich. Die internationale Kurzwelle blieb mein Begleiter durch alle die großen und kleinen Veränderungen im Verlauf der Jahrzehnte. Man kann sich heute eine Welt ohne Internet nur noch schwer vorstellen. Vor dem Siegeszug des „World Wide Web" jedoch war das Radio sicherlich das wichtigste Medium für direkte Informationen aus anderen Ländern. Auf dem Wellen von Radio Peking, so hieß „CRI - China Radio International" damals, erlebte ich, wie sich das Land, die Wirtschaft und die Gesellschaft veränderten, wie Deng Xiaopings Reformen zu einem schon bald spürbaren Aufschwung und schließlich zu jener atemberaubenden Entwicklung führten, mit der das heutige China die ganze Welt verblüfft.
Es waren vor allem die Geschichte und die Geschichten, die Mythen und Legenden, die wundervolle Musik, die Kunst und die Kultur Chinas, die mich immer stärker fesselten, begeisterten und in ihren Bann zogen. China kam immer näher zu mir – China Radio International war sein Botschafter. Aus dem regelmäßigen Briefwechsel mit dem Sender war längst eine echte Hörerfreundschaft entstanden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts durfte ich dann auf Hörertreffen im saarländischen Merchweiler und in Berlin auch erstmals Mitglieder der deutschen Redaktion und ihren damaligen Chef Sun Jingli persönlich kennen lernen. Die echten Freundschaften, die sich damals gründeten, leben noch heute.