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Kunst und Leben, Werk und Rezeption

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Die Leistung liegt nicht nur im Akt des Schreibens (gongfu zai shuwai).

In der Kalligraphie sind die Kriterien für die Kunstfertigkeit und für die Kennerschaft sehr streng. Vieles lernt man relativ schnell, aber zur Meisterschaft bringen es nur wenige. Auch die Meister müssen ständig am Ball sein, um die Kunst stets in einem neuen Licht zeigen zu können.

Das Studium der Kalligraphie beginnt immer mit dem Schreiben nach Vorlagen. Vorlagen bekommt man in jedem Buch- und Schreibwarenladen. Man wählt natürlich immer die Vorlage, die dem eigenen Interesse oder den persönlichen Vorlieben entspricht, aber viele gehen auch unter der Anleitung eines Lehrers oder der Eltern vor. Um sich dem Vorbild zu nähern, zieht man zuerst die Linien nach, Strich für Strich versucht man die Vorlage nachzufahren und auszufüllen. Das ist die Anfangsstufe für das Erlernen der Technik, man braucht dafür meistens nicht mehr als einige Monate. Nach diesem Abschnitt kommt das Heraustreten aus dem Raster, da muss man nicht mehr jede Bewegung vor sich haben und kann bereits ziemlich selbstständig schreiben. Wer ein Meister werden will, der muß jedenfalls mehrere Stile nach dieser Methode immer wieder zu seinen eigenen machen, dann erst kann er mit dem freien Schreiben, mit dem Herausbilden eines persönlichen Stils beginnen. Während dieses Prozessses wird man nach langem Üben eine große Freude verspüren. Nicht so sehr als Resultat von Vergleichen mit den Arbeiten anderer Kalligraphen, sondern vielmehr im Erkennen des Unterschieds zu seinen eigenen früheren Leistungen. Jeden Tag nimmt die Freude zu, weil man doch wieder einige Fortschritte erzielt hat.

Beim Ausführen der Kalligraphie verwendet man die Kraft der Finger, des Handgelenks und des Armes, gleichzeitig müssen die Hüfte und die Beine entsprechend mitarbeiten. Wenn man steht, bewegt sich der ganze Körper. Man atmet tiefer, das Blut kreist schneller, die inneren Organe werden ganz von selbst gekräftigt, man fühlt sich vergnügt wie nie zuvor.

Dazu kommt noch das ästhetische Vergnügen. Dieses innere Wohlgefühl kommt von der freien, schöpferischen Arbeit. Jeder Mensch trägt einen Schöpfer in sich. Ich kann mich noch erinnern, wie ich als Kind zum ersten Mal mit dem Pinsel schreiben wollte. Da hatte ich nun dieses ungewohnte Ding in der Hand und beschrieb eine Figur, wie es die Vorlage zeigte. Schließlich schrieb ich ein Zeichen nach dem anderen. Eine nie gekannte Wärme stieg in mir auf, ich kostete den Erfolg und wußte zum ersten Mal, welche Freude es einem Menschen bereitet, nach der Schönheit zu streben.

Wer die Kunst der Kalligraphie betreibt, der übt nicht nur nach der Vorlage der Steinabreibungen und betrachtet die ausgestellten Kalligraphien der Meister. Er eignet sich auch allerlei Wissen an, um schließlich die inneren Zusammenhänge zu entdecken und auf eine höhere Ebene des Schaffens zu gelangen. Die großen Meister der Malerei und der Kalligraphie haben ihre Schüler von alters her angehalten, ihre Inspiration in der Natur zu suchen. Man muß über die Berge steigen und den Flüssen folgen, die Landschaft erkunden und berühmte Stätten besichtigen. Außerdem gilt es zu erfahren, was unter den Menschen vorgeht. So erkennt und erfaßt man natürliche und menschliche Schönheit, aber gleichzeitig lernt man sich zu benehmen und nach Höherem zu streben, es ist eine Bildung der Seele. Unter den Kennern der Kalligraphie des Altertums gibt es zwei Sprichworte: wei xin hua "Zeichen sind die Bilder des Herzens" und Shu yi ren gui "Schrift wird durch den Menschen kostbar". Jedes mit der Hand geschriebene Schriftzeichen ist ein Ausdruck der inneren Regungen eines Menschen. Und das zweite Sprichwort bedeutet, dass kalligraphische Werke oft nach dem Menschen beurteilt werden, der sie geschaffen hat. Diese überlieferte Weisheit läßt uns gewahr werden, dass man nach der inneren Schönheit streben muß, wenn man schöner schreiben will. Und wenn man hofft, dass die anderen anerkennen, was man schreibt, wenn es dabei um echte Schönheit gehen soll, dann muss man im eigenen Herzen beginnen.

So meistert man Stufe um Stufe in der Kalligraphie und erweitert dabei sein Wissen, man wird ein vielseitiger, wahrhaft gebildeter Mensch, der das Leben liebt und immer neu begeisterungsfähig ist. Das ist es, was der Kalligraphie - Theoretiker Sun Guoting aus der Tang-Dynastie forderte, wenn er sagte: Ren shu ju lao "Die Schrift wird mit dem Menschen alt" - der Kalligraph wird reifer, während seine Werke reifen.

Wir wollen sehen, wie sich das oben erwähnten Sprichwort ?Schrift wird durch den Menschen kostbar" anhand von zwei Beispielen bestätigt.

General Yue Fei, der berühmte chinesische Kämpfer gegen die eindringenden Reitervölker in der Song-Dynastie, wurde durch eine Hofintrige zu Tode gebracht. Er ist auch für seine Handschrift berühmt. Das Grasschrift-Dokument "Trauern auf alten Schlachtfeldern", eine Abschrift eines Essays von Li Hua aus der Tang-Dynastie, kommt kraftvoll und mächtig heran, flüssig und schwungvoll, der Betrachter denkt ganz unwillkürlich an den Heldenmut des Generals. Später hat jemand gezeigt, dass die Handschrift wahrscheinlich gar nicht wirklich von Yue Fei stammt. Dennoch wird sie immer noch weitergegeben und als Vorlage verwendet. In Verehrung vor dem edlen Charakter Yue Feis mag damals jemand auf den Gedanken gekommen sein, diese Kalligraphie so zu schreiben, dass sie als Yue Feis Werk die Zeiten überdauern kann. Und ebenfalls aus Verehrung und Bewunderung möchten viele Menschen glauben, daß Yue Fei dieses Dokument geschaffen hat.

Auf der anderen Seite gibt es die Kalligraphie von Zhang Ruitu aus der späten Ming-Dynastie. Ihre Struktur ragt auf eine ganz eigenartige Weise empor, der Strich ist kraftvoll, der Impetus ist sehr stark. Besonders seine großformatige Grasschrift hebt mit fliegender Tusche und tanzenden Strichen einen unübersehbar imposanten Schwung hervor, der Betrachter empfindet sie als etwas Neues und Frisches und spürt eine verführerische Faszination. Als Mensch wurde Zhang jedoch schon von seinen Zeitgenossen verachtet, und das hat auch später seine künstlerische Leistung überdeckt. Zhang war ein Patensohn des mächtigen Eunuchen Wei Zhongxian und war selbst sogar Kanzler des Reiches. Aber nach seinem Tode wurde er von allen folgenden Generationen von Kalligraphiekennern nahezu totgeschwiegen.

Wenn die Schrift nicht beachtet wird, weil man den Menschen verachtet, wenn nur aus diesem Grund der Wert einer Kalligraphie nicht anerkannt wird, dann ist das unter dem Aspekt der Kunst zu bedauern. Aber das Schreiben hieß von Alters her die Kunst der Edlen und Ehrenhaften, und es läßt sich kaum vermeiden, daß man beim Betrachten an den Menschen denkt, der das Schriftstück hervorgerufen hat.

Die Wirkungsästhetik ist ein ganz wichtiger Punkt für die Connoisseure der Kalligraphie. Wenn ein erfahrener Kenner einem Meisterwerk gegenübersteht, wird er sorgfältig nachdenken wollen, um einerseits die Schönheit der Schrift, und andererseits auch etwas zu erkennen, was über die Schrift oder über die Bedeutung der Verse hinausgeht.

Die Wirkung eines Werkes reduziert die Distanz zwischen dem Schaffenden und dem Rezipierenden, sie macht den Betrachter sogar zu einem vertrauten Kenner, oder zu einem nachschaffenden Mitarbeiter und Kollegen, egal ob der Urheber der Kalligraphie nun tausend Jahre oder tausende Meilen entfernt existierte, bzw. existiert.

In den Augen eines erfahrenen, phantasievollen und sorgfältigen Betrachters kann ein kalligraphisches Werk niemals nur eine Lesart haben, elvsa die des Kalligraphen, oder die Interpretation durch eine anerkannte Autorität: seine ästhetische Bedeutung und sein Wert wird für ihn vielmehr eine Variable darstellen. Deshalb versenkt sich ein solcher Betrachter in die Wirkung, die das Werk auf ihn ausübt. Er möchte unter Einsatz seiner erfahrenen Kennerschaft, seines kulturellen Wissens und seiner Lebenserfahrung immer noch ein wenig mehr über die Inhalte und den Wert herausfinden. Er möchte das verborgene Denken und Fühlen, die Absichten und die künstlerischen Prinzipien des Kalligraphen, ebenso auch den Zeitgeist sichtbar machen, alles was der Schaffende selbst kaum in Worte zu fassen vermochte. Der eine kann es nicht sagen, und der andere will es erhellen, das macht die Wirkungsästhetik des Betrachtens so spannend und interessant. Und vom Aspekt der Entwicklungsgeschichte der Kalligraphie her bringt der Kenner, der in einem als mittelmäßig oder sogar als kläglich und schlecht gellenden Werk etwas Wertvolles entdeckt, viele neue Inhalte in die Tradition ein, die für die Erneuerung und Weiterentwicklung der Kalligraphie von beträchtlichem Nutzen sind.

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