Von Yunnan und Guizhou ausgehend hat sich der Tee immer mehr verbreitet. Dabei haben sich zwei Trinkformen herausgebildet. Beginnend mit der medizinischen Nutzung des Tees hat sich eine Trinkkultur des reinen Tees, das heißt eines Tees ohne Zutaten, entwickelt, die schließlich in konfuzianisch beeinflussten Teekulturschulen ihre höchste Ausdrucksform gefunden hat. Dies gilt auch für die konfuzianisch beeinflussten Kulturkreise Koreas, Japans und südostasiatischer Länder. Beginnend mit der Nutzung des Tees als Nahrung hat sich eine andere Trinkform entwickelt, nämlich eines Tees mit Zutaten. Das können Früchte und Nüsse sein wie vielfach in Südchina, das kann Butter und Milch sein wie im Nordwesten Chinas, und das ist Zucker in den westeuropäischen Ländern.
Der Einzug des Tees in die Viehzuchtgebiete war für das Leben des Hirtenvolkes von nicht geringer Bedeutung: Gebirge und Steppe liefern Futter für das Vieh, Milch und Fleisch versorgen die Menschen mit Kalorien, jedoch mit zu wenig Vitaminen. Der Tee gleicht diesen Mangel aus. So ist es kein Wunder, dass in den Viehzuchtgebieten Qinghais, Gansus, Xinjiangs und der Inneren Mongolei das Teetrinken allgemeine Gepflogenheit wurde und der Milchtee dort so geschätzt wird.
Die Uiguren trinken nicht nur Tee, sie essen auch Teeblätter. Brot aus klebrigem Reis und Milchtee kommen zu allen drei Mahlzeiten auf den Tisch. Bei Festlichkeiten wie dem Bairam (Fest nach dem Fastenmonat) und am Opferfest des Islam beschenkt man sich gegenseitig mit Tee als Ausdruck der Freundschaft. In der Esskultur der Hui-Nationalität kommt es vor allem auf die Reinheit der Speisen an, und Tee ist für die Hui Reinheit schlechthin.
In den Weidegebieten der Inneren Mongolei verfolgt einen überall der Duft des Milchtees. Früher zogen die Hirten mit ihren Jurten umher und lebten dort, wo es Wasser und Gras gab, und der Milchtee war ihr ständiger Begleiter. Die Verfasserin dieses Buches hat das Leben in einer Jurte während einer Forschungsreise kennen gelernt. Die heutigen Viehzüchter sind größtenteils sesshaft, d.h., sie leben während der Weidesaison in festen Jurten und im Winter in Häusern. Die Ausstattung der Jurten ist recht einfach. Ein etwas erhöhter Platz dient als Bett, die Wolldecken sind ordentlich aufgestapelt. Auf dem Herd in der Mitte steht immer eine große Kanne mit Milchtee. Die Herstellung des Milchtees ist eine komplizierte Angelegenheit. Man muss die Teeziegel zerstampfen, den Tee mit Wasser kochen, filtern, dann Milch in angemessener Menge zugeben und weiter kochen, wobei man mit einem großen Löffel fleißig rührt. Die Gäste sitzen nach Alter und Rang zu beiden Seiten des Gastgebers. Der mongolische Reiseführer nimmt uns gegenüber Platz. Die Hausfrau beginnt zu arbeiten. Auf einem Teppich vor uns ist ein kleiner Tisch aufgestellt, auf dem einige Schalen mit gerösteten Reiskörnern, Schafskäse, Salz und Zucker stehen. Die Gastgeberin überreicht uns Milchtee. Wie beim tibetischen Buttertee, so darf man auch hier nicht in einem Zug austrinken, man muss etwas in der Teeschale lassen, und die Gastgeberin schenkt immer wieder nach. Die Hirten trinken Milchtee meistens mit Salz. Der Gastgeber sagt ein paar Worte zur Begrüßung, und der Reiseführer erklärt, man könne die Reiskörner direkt in den Tee geben. Schafskäse ist sehr nahrhaft. Isst man schon zum Frühstück von diesem Käse, ist man bis zu Mittag satt. Nachdem ich selbst alles miterlebt habe, verstehe ich nun, warum der Tee für die Hirten so wichtig ist. Denn Milch, Schafskäse, geröstete Reiskörner und Fleisch sind schwer verdauliche Sachen. In den Gegenden mit wenig Gemüse ist dann Tee der unverzichtbare Verdauungsförderer und Vitaminlieferant. Auf der Steppe gehört der Milchtee nicht nur zum alltäglichen Leben und zur Begrüßung von Gästen, wie bei anderen Nationalitäten ist der Tee auch bei Festlichkeiten nicht wegzudenken. Wenn aus irgendeinem Anlass Lamas zur Rezitation buddhistischer Sutren gebeten werden, ehrt man sie am Schluss mit Hadas und Ziegeltee. Während des Herbstfestes und beim Nadamu-Fest finden Tee-Zeremonien statt. An diesen Festen wird auch mit Ziegeltee gehandelt.
Die anderen Nationalitäten im Nordwesten Chinas trinken ebenfalls gern Milchtee. Zu Verlobungen und zu Hochzeiten ist Tee ein obligatorischer Geschenkartikel.
Die dortigen Nationalitäten sind in ihrer Mehrheit Anhänger des Buddhismus, und wie wir wissen, ist der Buddhismus mit dem Tee untrennbar verbunden. So kommt der Milchtee auch als Opfergabe auf den Altar. Die Konfuzianer in Zentralchina benutzten Tee als Mittel zur inneren Einkehr, aus dem sie geistige Kraft schöpfen wollten, während die nationalen Minderheiten im Nordwesten ihre Gottheiten mit Tee verehren. So hat bei allen Nationalitäten Chinas der Tee eine weit über seinen materiellen Nutzen hinausgehende Bedeutung - ein Phänomen, das in der Geschichte der Esskultur seinesgleichen sucht.
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