Ausgiebige Freude an der Landschaft
Im Jahre 220 n. Chr fiel die Östliche Han-Dynastie (26 - 220 n.Chr.), und China trat in eine über 300 Jahre andauernde Phase gesellschaftlichen Aufruhrs ein, die durch separatistische Lehensfürsten und ständige Kriege geprägt war. Das Land schwankte zwischen Aufstieg und Niedergang und die Dynastienfolge drehte sich wie ein Karussell. Die Güterproduktion erlitt schweren Schaden, die Wirtschaft kam zum Erliegen, und die Bevölkerung schrumpfte. Doch in der Geisteswelt wurde mit der Erhebung des Konfuzianismus zum alleinigen Verhaltenskodex eine neue Tradition gegründet. Gleichzeitig entstand durch die Konkurrenz von Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus eine dynamische Situation. Diese geistige Besonderheit und dieses kulturelle Antlitz, die damals eine neue Richtung in Kunst und Wissenschaft begründeten, werden in der chinesischen Kulturgeschichte als "Wei- und Jin-Stil" bezeichnet.
In der Wei- und der Jin-Dynastie (220-420) sowie während der Südlichen und Nördlichen Dynastien (420-581) waren die sozialen und politischen Konflikte besonders ausgeprägt. Die Literatenschicht war desillusioniert und hatte jegliche Hoffnung auf ein besseres Leben und eine Beamtenlaufbahn aufgegeben. Aus diesem Grund gewann die Lehre von Huangdi und Laozi, welche für Müßiggang und Tatenlosigkeit einstand, die Oberhand, und Xuanxue, die metaphysische taoistische Philosophie der Rede ohne Taten, erhielt Auftrieb. Hinzu kam, dass der Buddhismus nach seiner Einführung nach China im Jahre 67 n. Chr. Sehr einflussreich gewesen war. Innerhalb der Literatenschicht vermischten sich die Skepsis des Buddhismus gegenüber der irdischen Existenz und seine Ablehnung derselben mit der Weltflucht des Taoismus. Die Literaten wandten sich von den innersten Kreisen der Staatsgewalt ab, gaben sich den Freuden der Landschaft hin und fürhrten ein ausschweifendes, den Konventionen widersprechendes Leben, indem sie sich von jeglichem Konflikt fernhielten und ihrem Temperament freien Lauf ließen. Gerade in dieser Zeit bildete sich innerhalb der traditionellen chinesischen Feudalwirtschaft rasch eine neue Produktionseinheit heraus - das Landgut. Diese autarken wirtschaftlichen Strukturen gewährleisteten, dass die Literatenschicht im bereich der geistigen Kultur eigenständig blieb und neue Ideen hervorbringen konnte. Nicht nur wanderten sie nach Herzenslust in natürlichen Landschaften, sie ersannen auch Mittel, um an ihrem Wohnsitz Bergwald-Szenerien nachzubilden, die ihr Verlangen nach Idylle stillen und der Koketterie zwischen trautem Heim und wildem Feld Ausdruck verleihen sollten. Damit schufen sie die früheste Form des Privatgartens. Das besondere Merkmal dieser Gärten war, dass sich ihre Gestaltung nach den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft und der Vegetation richtete. Wegen geographischer, klimatischer und wirtschaftlicher Beschränkungen löste der Goushi-Stil, der die Gestaltung der bestehenden Landschaft in den Mittelpunkt stellte, die in der Qin- und Han-Zeit verbreitete Methode ab, Gartenanlagen an größeren Bergen auszurichten. Für die Landschaftsgestaltung wurden typischerweise Kiefer, Zypresse und Bambus verwendet, weil sie immergrün und von geradem, hohem Wuchs waren - Eigenschaften, derer sich die Literaten gerne bedienten, um ihren eigenen Charakter zu preisen. Überdies waren die räumlichen Beziehungen in den Privatgärten jener Zeit komplexer, und ihnen wurde auch mehr Beachtung geschenkt.
vorige Seite nächste Seite
|