Die anstrengende chinesische Mittelschicht – Die „Diskriminierungskette" der A Yis in Shanghai

2019-06-28 11:09:35

Unter welchem geistigen und finanziellen Druck lebt die chinesische Mittelschicht in Mega-Metropolen wie Beijing oder Shanghai? Ein derzeit in den chinesischen sozialen Netzwerken viral verbreiteter Beitrag beantwortet diese Frage indirekt aus einem ganz besonderen Blickwinkel und zwar auf humorvolle aber auch spöttische Art und Weise.

„A Yi", das bedeutet übersetzt „Tante". So nennen die Chinesen aber auch ihre Hausgehilfinnen. Ein Beitrag, der sich mit der sogenannten „Diskriminierungskette" dieser A Yis in Shanghai beschäftigt, ist derzeit ein absoluter Internet-Hit in China.

„A Yis, die in internationalen Metropolen wie Shanghai leben, könnten eine größere Welt kennen als du". Mit dieser Feststellung erinnert die Inhaberin des Wechat-Kontos Geshisan an ihre erste Begegnung mit einer A Yi.

Bevor Wang A Yi zu Geshisan kam, arbeitete sie für eine Familie, die in einem wohlhabenden Wohnviertel lebte. Nach ihrem ersten Arbeitstag stand Wang A Yi am Fenster und blickte auf die Kinder, die vor dem Haus zwischen den Gebäuden herumrannten und schrien. Dann schüttelte sie den Kopf, seufzte und sagte ganz langsam und besorgt: „Dieses Viertel, ach, das geht gar nicht!" „Guck mal auf die Uhr, es ist schon nach sieben. Die Kinder rennen und schreien noch wild draußen rum. Sollten sie jetzt nicht Klavier spielen, Kalligraphie üben oder Englisch lernen?"

Wang A Yi mochte die Arbeit bei Geshisan nicht, nicht weil sie schlecht bezahlt wurde, sondern weil es in ihrem Wohnviertel keine Klavierklänge gab. Diese Erkenntnis beeindruckte Geshisan. Sie erklärte, die A Yis in Shanghai, die eine „größere Welt" gesehen hätten, seien Experten für Bildungspraxis. Sie begleiteten die Kinder zu unterschiedlichen Kursen und würden mit der Zeit selber zu Fachkräften in Sachen Klavier, Englisch, Mathematik, Basketball und Schwimmen.

Wang A Yi verließ Geshisan recht schnell. Beim Abschied gab sie ihrer Arbeitgeberin einen letzten herzlichen Rat: „Sie sollten sich wirklich bemühen und umziehen. Dieses Viertel, ach, das geht gar nicht. In dem Wohnviertel, in dem ich früher gearbeitet habe, singen die Senioren täglich im Chor, sie tanzen Walzer oder lernen Computergraphik. Schauen Sie sich mal die Senioren in Ihrem Viertel an. Sie machen nichts anderes als Glücksspiel oder Tanzen in Gruppen zu lauter Musik auf öffentlichen Plätzen."

Dies zeigt eine erste sogenannte „Diskriminierungskette". A Yis, die in Vierteln arbeiten, in denen nur Glücksspiele gespielt werden, werden von A Yis in Vierteln mit guter Lern-Atmosphäre verachtet. Diese wiederum werden von den A Yis diskriminiert, die in Vierteln arbeiten, in denen Sachen gelernt werden, die sich normale Angestellte nicht leisten können.

Nach einiger Zeit zog Geshisan mit ihrer Familie tatsächlich in ein besseres Wohnviertel um und kaufte sich ein neues, deutlich teureres Auto, damit „ihre A Yi das Gesicht nicht verliert, wenn sie ihr Kind von der Schule abholt." Dort stellte Geshisan zum zweiten Mal in ihrem Leben eine A Yi an. Nach nur wenigen Tagen beschwerte sich diese A Yi bei ihr, dass sie keine Freunde in dem Viertel finde.

„In dem Viertel, in dem ich früher gearbeitet habe, sind ganz viele Vollzeitmütter. Sie achten sehr auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Sie verbringen jeden Tag eine gewisse Zeit alleine mit ihren Kindern. Dann hatten wir A Yis Zeit, zusammen Tee zu trinken und zu plaudern." Die Einsamkeit ihrer A Yi regte Geshisan zum Nachdenken an.

Hier eine weitere „Diskriminierungskette". A Yis, die bei Müttern arbeiten, die in Vollzeit arbeiten und wenig verdienen, werden von denen verachtet, die bei in Teilzeit arbeitenden Müttern arbeiten. Diese wiederrum werden von bei Vollzeitmüttern arbeitenden A Yis geächtet. Nachdem diese A Yi feststellte, dass Geshisan ihren Job nicht aufgeben würde, hat sie gekündigt.

Eines Tages traf Geshisan in ihrem Wohnviertel auf eine Gruppe von Hunden. Nach einem kurzen „Wow, sind die süß!" stellte eine Frau die vier Hunde in ihrer Hand direkt vor: „Das ist ein Beagle, das ist ein Border Collie, dieser hier ein Cocker Spaniel und das ein Labrador". „Wow, wie toll. Alle vier Hunde gehören Ihnen?", fragte Geshisan. „Ich bin ihre A Yi", antwortete die Frau.

Was die Arbeitsinhalte betrifft, gibt es ebenfalls eine Diskriminierungskette unter den A Yis in Shanghai. Ganz unten in dieser Kette stehen A Yis, die den Haushalt führen. In der Mitte befinden sich A Yis, die nur für Kinder zuständig sind und ganz an der Spitze jene A Yis, die sich nur um Hunde kümmern. Hunde A Yis werden allerdings wieder von allen anderen A Yis diskriminiert. Was für ein Teufelskreis!

Lustig geschrieben stellt Geshisans Beitrag aus einem seltenen Blickwinkel das Image und den Stress der chinesischen Mittelschicht dar. Sie arbeitet und lernt, gibt ihr Bestes, um ihre Kinder nach vorne zu pushen und strebt nach sozialem Aufstieg. Alle haben es satt, Überstunden zu machen und ihre Kinder zu unterschiedlichen Kursen zu zwingen, machen es aber trotzdem weiter. Man muss sich immerhin wirklich anstrengen, damit die A Yis einen nicht kündigen.

Text Hu Hao

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