Die „spanische Grippe“ kam gar nicht aus Spanien – in den USA gibt es eine lange Tradition der taktischen Verunglimpfung anderer Länder

2021-07-29 10:38:05

Die US-Amerikaner haben eine beschämende Geschichte, in der sie die Schuld für den Ursprung einer Pandemie anderen Ländern zuschieben. Eine Pandemie, die 1918 in den Vereinigten Staaten begann und sich in ganz Europa ausbreitete, wurde dennoch als „spanische Grippe“ bezeichnet. Warum das geschah, beschreibt der US-amerikanische Historiker John M. Barry in seinem Buch „The great influenza, the story of the deadliest pandemic in history“. Barry hat diese Pandemiezeit vor mehr als 100 Jahren intensiv erforscht und wartet mit Erkenntnissen auf, die uns auch helfen die Gegenwart zu verstehen. So gibt er die Fakten wider, dass im März 1918 zuerst in einem US-Militärlager in Kansas plötzlich eine Massengrippe ausbrach. Der erste Patient war ein Koch der US-Armee in den USA und kein Spanier in Spanien. In weniger als drei Wochen erkrankten mehr als 1.100 Menschen schwer und 38 starben. Nach dem Ausbruch des Krieges wurde die Erkrankung in kurzer Zeit durch infizierte Soldaten in den amerikanischen Truppen in den Vereinigten Staaten, aber auch in Kontinentaleuropa und sogar im Fernen Osten verbreitet.

Abbildung 1: Das Buch „The great influenza, the story of the deadliest pandemic in history“

Während des Ersten Weltkriegs verhängten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich ein Embargo gegen die Pandemie und kontrollierten die Presse, um das Militär und die Bevölkerung zu „stabilisieren“. Im Gegensatz dazu führte Spanien, ein neutrales Land im Ersten Weltkrieg, keine Pressekontrollen durch und zählte und berichtete sorgfältig über die Epidemie im eigenen Land. Die amerikanischen, britischen und französischen Medien, die die internationale Meinung kontrollierten, nutzen Spaniens Ehrlichkeit für ihre Zwecke und bezeichneten die Pandemie schnell als „Spanische Grippe“. Spanien protestierte zwar gegen diese Benennung, aber aufgrund seiner Schwäche und seiner mangelnden internationalen Diskursmacht war dies vergeblich.

Hundert Jahre später gab die WHO neue Leitlinien für die Benennung von Krankheiten heraus, die „keine kulturelle, soziale, nationale, regionale, berufliche oder ethnische Gruppe beleidigen dürfen“, und riet ausdrücklich davon ab, Krankheiten nach Ländern zu benennen.

Abbildung 2: In einem Kasernenkrankenhaus in Colorado, USA, 1918

Obwohl die Pandemie vor 100 Jahren in den Vereinigten Staaten begann, wurde sie als „Spanische Grippe“ bezeichnet. Und während der weltweiten COVID-19-Pandemie im vergangenen Jahr haben die US-Politiker dem Virus einen Namen gegeben, der ein anderes Land verleumdete. Politiker der USA wollten die Verantwortung anderen Ländern zuschieben und haben der Welt deutlich gemacht, dass sich diese Vorgehensweise seit 100 Jahren nicht geändert hat.

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