Die Geheimwaffen gegen die Epidemie

2020-03-05 11:52:17

Das Smartphone auf leise stellen und weglegen. Dann tief ein- und ausatmen, bis sich die Atmung normalisiert. Und nun fragen Sie sich, was bei der Eindämmung der COVID-19-Epidemie am besten hilft: Panik, Lagerdenken, Lager leerkaufen, Vorurteile, heiße Luft oder gesunder Menschenverstand?

Heiße Luft? Schon mal nicht schlecht, Viren sind tatsächlich hitzeempfindlich. Aber es hilft nicht, den eigenen Körper heiß zu föhnen, wenn der kleine Feind schon drin ist. Mit viel heißer Luft aufgeblähte Pseudonews in sozialen und anderen Medien helfen auch nichts. Aus dem Wahn heraus, immer wieder etwas Neues bzw. Sensationelles bringen zu müssen, überfluten Blogger und Redakteure ihre armen Leser mit echten Informationen, aber auch unausgegorenen Berichten und sehr viel Meinungen zu diesem in erster Linie wissenschaftlichen Thema. Der Daten-Tsunami bringt die Leser zwar nicht gleich um, aber lässt sie ratloser, verwirrter und verängstigter zurück. Einige der orientierungslosen Opfer werden nun ihrerseits zu Verbreitern von Märchen und noch gefährlicherem Halbwissen, auch um ihre Ängste zu verarbeiten. Geteilte Ängste wachsen sich jedoch leicht zu einer Panik aus. Panik ist der denkbar schlechteste Ratgeber. Panik ist potenzierte diffuse Angst und hoch ansteckend. Das ist nicht neu.

Leider kämpfen inzwischen auch einige Experten eitel um die Deutungshoheit. Als Lichtgestalt in dieser scheinbar düsteren Zeit vergisst mancher von ihnen, wenn er oder sie eine neue Theorie oder einfach Spekulationen in die Debatte bringen will, dass Wissenschaft zu Augenmaß und Redlichkeit verpflichten sollte.

Der Raum für Mutmaßungen ist nicht mehr so groß. Es gibt inzwischen viele Studien über das Virus und dessen Verbreitung, unlängst eine Studie mit rund 45.000 Infizierten. Und täglich kommen Zahlen aus China und aus anderen betroffenen Ländern. Wo mehr getestet werden kann, werden auch mehr Fälle diagnostiziert. Es ist ebenso klar, dass bei Grippewellen selten so häufig getestet wurde wie bei diesem Coronavirus.

Wie gesagt, ist das alles nicht neu, aber trotzdem bei Einigen noch nicht angekommen. Sollten Aufklärung und Aufgeklärtheit in der Menschheitsgeschichte doch eher temporäre Phänomene sein, Kants Denkleistungen vergebliche Liebesmüh und gesunder Menschenverstand ein Auslaufmodell? Glücklicherweise spekulieren nur wenige Experten öffentlich über potentiell noch wesentlich längere Inkubationszeiten und dramatische Dunkelziffern; die Mehrheit der Wissenschaftler forscht, hilft und meldet sich erst zu Wort mit gut gesicherten Erkenntnissen.

Leider reichen jedoch wenige Autoren mit oder ohne wissenschaftlichen Background aus, um Millionen in Angst und Schrecken zu versetzen, mit Texten, für die sie oft nicht mal groß nachgedacht haben. In einigen der fahrlässigen Horrorszenarien sind mehr als die Hälfte aller Deutschen infiziert und das schlimmstenfalls binnen einen Jahres! So etwas ist aber nur denkbar, wenn gar keine vernünftigen Maßnahmen ergriffen würden. Einige Autoren unken, dass das Virus, das ihrer Meinung nach schon extrem schlimmer als jedes Grippevirus ist, womöglich sogar noch viel, viel gefährlicher sei. Ja, Ebola lässt schon grüßen.

Leben diese Panik-Autoren hinterm Mond? Hallo, wir befinden uns nicht in der ersten Woche der Epidemie! Nein, China kämpft schon lange gegen die COVID-19-Krankheit und das mit großem Erfolg. 1,4 Milliarden Chinesen sind immer noch sehr lebendig, ich in Beijing übrigens auch. Und – alle mal herhören! – diese 1,4 Milliarden Chinesen waren und sind auch Lichtjahre weit von einer Massenpanik entfernt, sogar die Menschen in Wuhan.

In China ist man von einer bis zu zweiwöchigen Inkubationszeit ausgegangen und hat dank entsprechend langer Isolationszeiten die Verbreitung von COVID-19 hervorragend eingedämmt. Also hat es offenbar nicht viele Infizierte gegeben, bei denen es nach der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit viel länger als 14 Tage dauerte.

Und auch die Dunkelziffer, die es immer gibt, solange nicht alle, also in China 1,4 Milliarden Menschen, mehrfach getestet werden, spielte hier keine Rolle. Denn in China wurden schnell logische Maßnahmen ergriffen und auch die Menschen ohne Symptome oder Kontakt zu Infizierten befolgten freiwillig kluge Regeln. Eine hohe Dunkelziffer hieße übrigens, dass die Sterblichkeitsrate noch geringer wäre. Aber das ist erstmal irrelevant, weil die Dunkelziffer ja keiner kennt. Relevant ist die immer weiter sinkende Zahl der Neuinfektionen in China, obwohl nun mehr getestet und auch Menschen mit Lungenentzündung, die nicht positiv getestet wurden, mitgezählt werden. So schlimm kann es also nicht sein. Wer China nicht traut, sollte wissen, dass es in China auch viele Ausländer gibt, die darüber berichten, sehr wenige sind selbst betroffen. Die WHO ist auch mit im Spiel und andere Länder haben inzwischen auch einige Erfahrungen.

Was soll also die gefährliche Panikmache? Ist denn während einer Epidemie schon mal ein Virus so böse mutiert, dass es dann den halben Planeten ausgelöscht hat? Vielleicht zur Zeit der Saurier? Ich denke nicht. Und es wird wohl auch jetzt nicht ausgerechnet in Berlin oder Weimar passieren. Wenn die Spekulanten nicht bereits von allen guten Geistern verlassen sind, so hat sie doch der gesunde Menschenverstand längst verlassen.

Ich weiß, wer die Zeitungen aufschlägt oder im Internet surft, kann an manchen Tagen wirklich den Eindruck gewinnen, es gehe um eine politische Debatte, wo jeder munter seinen eigenen Senf dazu gibt. Das Thema ist aber eine Epidemie. Fakten und seriöse Zahlen dürfen nicht in unlogischem Gebrabbel untergehen! Die WHO, das Robert Koch Institut, auch das Media Science Center und die China Media Group bieten eine gute Orientierung.

Zum Schluss eine sehr gute Nachricht: Diese Epidemie lässt sich effizient mit gesundem Menschenverstand und schnellen Taten bekämpfen. Das sind die sagenumwobenen Geheimwaffen! Und sogar ein komfortables Lernen am (Erfolgs-)Modell ist möglich, denn China hat bereits eine große Strecke des Weges zurückgelegt und teilt sicherlich seine Erkenntnisse gerne mit Freunden, aber auch mit den schärfsten Kritikern von früher.

Text: Nils Bergemann

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