Karma Chowang hatte noch nie einen Aufzug oder ein elektronisches Whiteboard gesehen, bevor er die Oberschule besuchte. Der 14-jährige Tibeter geht nun in die achte Klasse der Lhasa Jiangsu Experimental High School in der Hauptstadt des Autonomen Gebiets im Südwesten Chinas.
Er wurde in einer Hirtenfamilie in der abgelegenen Präfektur Ngari geboren. Ngari ist für ihre Höhe von durchschnittlich 4.500 Metern über dem Meeresspiegel und die raue Natur bekannt. Karma Chowang hätte nie erwartet, dass er einmal eine Schule in Lhasa besuchen würde.
„Meine frühere Grundschule in der Heimat hatte nicht einmal einen Basketballplatz“, sagt er und teilt lächelnd mit, dass der Schulbesuch, einschließlich der Uniformen und Lehrbücher, kostenfrei sei.
Dank der Entsendung von Lehrern aus anderen Teilen Chinas nach Tibet sowie der Investitionen, die auf das „Dach der Welt“ geflossen sind, haben die Kinder auf dem Plateau bessere Bildungsmöglichkeiten erhalten als je zuvor.
Die Lhasa Jiangsu Experimental High School ist ein Internat, das von der ostchinesischen Provinz Jiangsu mit einer Gesamtinvestition von 260 Millionen Yuan RMB, umgerechnet 37 Millionen Euro, finanziert wurde.
In der Schule wurden verschiedene Clubs gegründet, in denen die Schüler Tanzen, Musik, Kalligraphie und andere Fertigkeiten lernen können.
„Ich habe im Club gelernt, Gitarre zu spielen“, sagt der 14-jährige Junge Sonam Dorgya, der aus der ländlichen Gegend von Qamdo stammt.
Die relativ entwickelte Küstenprovinz Jiangsu hat seit der Eröffnung der Schule im Jahr 2014 nahezu 200 Lehrer in die Schule geschickt und damit fast 14.000 lokale Jugendliche ausgebildet.
Wang Renquan, ein Lehrer aus Jiangsu, sagte, die tibetischen Schüler seien einfach und enthusiastisch. „Wenn man zum Unterricht kommt, steht manchmal eine Tasse Milchtee mit einem Zettel auf dem Tisch, auf dem steht: 'Danke für Ihre harte Arbeit'“.
Die Lehrer aus Jiangsu bringen nicht nur akademisches Wissen mit, sondern auch fortgeschrittene Lehr-Erfahrungen. Der 52jährige Huang Renming ist ein erfahrener Lehrer, der von Jiangsu in die Schule geschickt wurde. Im Dezember vergangenen Jahres unternahm er eine 15-stündige Reise zu einer abgelegenen Oberschule im Bezirk Medog, um dort Schüler zu unterrichten und mit den lokalen Fachkollegen zu kommunizieren.
Dabei stellte Huang fest, dass die Lehrer vor Ort immer noch eine veraltete Unterrichtsmethode anwenden: Die Lehrer hielten während des Unterrichts fast nur Vorträge, ohne viel Interaktion mit den Schülern.
„Wir rieten ihnen, den Schülern mehr Zeit im Unterricht einzuräumen, damit sie sich selbst aktiv erkunden und ausdrücken können“, so Huang.
Im alten Tibet gab es einst keine richtige Schule. Die Analphabetenrate lag bei über 95 Prozent. Von 1951 bis 2020 hat die Zentralregierung insgesamt 224 Milliarden Yuan, umgerechnet 32 Milliarden Euro, in das tibetische Bildungswesen investiert. Heute gibt es in der Region 3.195 Schulen verschiedener Art und auf verschiedenen Ebenen, in denen mehr als 790.000 Schüler unterrichtet werden, so berichtete es in das im Mai vergangenen Jahres veröffentlichte Weißbuch. Die Schüler genießen dort eine 15-jährige Schulpflicht, die öffentlich finanziert wird.
Karma Chowang ist ein engagierter Fußballer. Er sagt, früher hätte er immer alleine auf der riesigen Ranch gespielt. Jetzt habe er im Fußballklub der Schule Teamarbeit gelernt. „Ich möchte in die Fußballnationalmannschaft eintreten, wenn ich groß bin“, sagt der junge Tibeter.