Das traditionelle chinesische Vorurteil widerlegend, dass Blinde nur als Masseur oder Instrumentenstimmer arbeiten können, bestand Wang Hui im Jahr 2019 die Anwaltsprüfung und arbeitet nun bei einer Anwaltskanzlei in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin. In seiner Freizeit entwickelt er eine Bildschirmlese-Software, mit der Sehbehinderte Informationen von ihren Bildschirmen vorgelesen bekommen können.
Seit 2019 setzt sich Wang Hui außerdem dafür ein, Senioren bei der Bedienung von Handys zu helfen. Er sagt: „Ältere Menschen haben aufgrund von Mobilität, Sehvermögen oder kognitiven Schwierigkeiten ähnliche Probleme mit Mobiltelefonen. Ich verstehe ihre Frustration sehr.“
Wang ist seit seiner Geburt auf dem rechten Auge blind und trug während seiner Kindheit eine dicke Brille. Obwohl er groß war, saß er in der ersten Reihe, um die Schrift an der Tafel erkennen zu können. Er arbeitete hart und erntete gute Noten. Einige hielten Wang für arrogant, weil er sie nie begrüßte. Er wollte ihnen aber nicht erklären, dass er sie einfach nicht sah. „Vielleicht lag es an meinem Selbstwertgefühl“, so der 35-Jährige.
Während seines Studiums verlor Wang Hui auch noch die Sehkraft auf seinem linken Auge. Seine Freundin weinte, heiratete ihn nach ihrem Studium dennoch, ohne Rücksicht auf die Einwände ihrer Eltern. Ihr eigener Sohn ist mit gesunden Augen auf die Welt gekommen. Wang erinnert sich: „Zu jener Zeit war meine Welt dunkel, aber voller Liebe.“ Er bemühte sich jahrelang darum, einen anständigen Job zu finden. Er wollte Lehrer an einer Schule für blinde und sehbehinderte Kinder werden. Die meisten Blindenschulen in China stellen jedoch keine blinden Lehrer an. Wang Hui versuchte auch, sich für Stellen in öffentlichen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen zu bewerben, wurde wegen seines schlechten Sehvermögens dort jedoch ebenfalls abgelehnt. Er sagt: „Wenn meine berufliche Kompetenz das Problem ist, kann ich das verstehen, aber wenn es daran liegt, dass ich nicht sehen kann, kann ich das nicht akzeptieren.“
Wang Hui fühlt sich oft missverstanden. „Am Arbeitsplatz denken viele, dass Blinde schlechter gebildet und weniger kompetent sind als normale Menschen. Ich werde die Art und Weise ändern, wie sie uns sehen.“
Der 35-Jährige glaubt, dass Technologie Barrieren für Behinderte abbauen kann. Er organisierte 2008 mit einer Gruppe freiwilliger Studenten daher einen Workshop, um Behinderten beim Umgang mit Technologie zu helfen. In den vergangenen zwölf Jahren hat Wang außerdem mehr als 10.000 Blinden kostenlose Schulungen für den Bildschirmleser angeboten, einer Softwareanwendung für Mobiltelefone und Computer, die Text in synthetisierte Sprache umwandeln kann. Mit Kopfhörern können blinde Nutzer dadurch die Informationen auf ihrem Bildschirm vorgelesen bekommen. Darüber hinaus hilft Wang Hui blinden Nutzern dabei, sich an Technologieunternehmen zu wenden, um die Funktionen ihrer Produkte zu verbessern.
Im Jahr 2019 bestand Wang Hui als erster blinder Mensch in Tianjin die Rechtsprüfung, eine der anspruchsvollsten nationalen Prüfungen Chinas. Nachdem lokale Medien über seine Geschichte berichtet hatten, fand er sogar eine Arbeitsstelle. Seitdem nehmen auch mehr Senioren an seinen Workshops teil, um sich Fähigkeiten anzueignen, die ihre Enkel bereits beherrschen.
Der 72-jährige Song Shuxin hat dadurch zum Beispiel gelernt, mit seinem Handy zu chatten, ein Taxi zu rufen und zu bezahlen. Ihm macht es nichts aus, dass Wang blind ist. „Sein Herz hat mein Leben erleuchtet“, sagt Song.