Die COVID-19-Pandemie ist „ganz sicher noch nicht vorbei“, warnte der Chef der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf der Eröffnung der 75. Weltgesundheitsversammlung am Sonntag, während die gemeldeten Fälle in fast 70 Ländern weltweit weiterhin zunehmen.
Die relativ milde Omicron-Variante hat viele Länder dazu veranlasst, ihre Wachsamkeit zu verringern, Beschränkungen zu lockern und sich auf Impfungen zu beschränken.
Chinas „dynamische Null-COVID-Strategie“, die eine Reihe von Maßnahmen wie Massentests, eine umfassende Rückverfolgung von Kontaktpersonen und eine schnelle Abriegelung umfasst, um neue Ausbrüche schnell zu unterbinden, scheint vielen unangebracht und hat international viele Kontroversen ausgelöst.
Aber warum hält die chinesische Regierung an dieser strengen Politik fest? Was sind die Folgen, wenn die Volksrepublik sie ohne jegliche Intervention aufgibt? Werfen wir zunächst einen Blick auf einige Daten.
Gefährdete Gruppen
Es ist allgemein bekannt, dass das neuartige Coronavirus für ältere Menschen eine große Gefahr darstellt. Angaben der US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) zufolge ist die Sterblichkeitsrate bei über 65-Jährigen 65-mal höher und bei über 85-Jährigen 330-mal höher als bei 18- bis 29-Jährigen.
In China gibt es 267 Millionen Menschen über 60 Jahre, von denen 260 Millionen mit gesundheitlichen Problemen leben. Hinzu kommt, dass die derzeitige Impfquote älterer Menschen nicht hoch genug ist.
Eine vor kurzem von Wissenschaftlern aus China und den USA durchgeführte Studie prognostizierte, dass China mehr als 1,5 Millionen COVID-19-Todesfälle riskieren würde, wenn es seine Null-COVID-Politik ohne jegliche Schutzmaßnahmen, wie verstärkte Impfungen und Zugang zu Behandlungen, aufgibt.
Unzureichende medizinische Ressourcen
Tatsächlich sind auch die medizinischen Ressourcen Chinas im Vergleich zur Gesamtbevölkerung des Landes und zu einigen Industrieländern knapp bemessen.
Einem im Juli 2021 in der Fachzeitschrift „Chinese Health Resources“ veröffentlichten Artikel zufolge hat China im Jahr 2021 schätzungsweise über 4,37 Intensivstationsbetten pro 100.000 Einwohner verfügt. In Deutschland (2017) und den USA (2018) gab es 33,9 beziehungsweise 25,8 Betten.
Ärzte, Krankenschwestern und andere medizinische Fachkräfte, die Teil der medizinischen Ressourcen sind, spielen die Rolle als Ersthelfer, wenn das Virus kommt. Allerdings reicht die Zahl der Ärzte und Krankenschwestern bei weitem nicht aus, um große Ausbrüche zu bewältigen.
Länder, die viel für das Gesundheitswesen ausgeben, wie Norwegen und die Schweiz, verfügen über eine relativ hohe Zahl an Ärzten und Krankenschwestern. Im Gegensatz dazu gibt es in China schätzungsweise nur 1,64 praktizierende Ärzte und 2,54 Krankenschwestern pro 1.000 Einwohner.
Trotz des geringeren Schweregrads der Infektion bedeutet eine massive Welle der hochgradig ansteckenden Omicron-Variante, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen in einigen Ländern doppelt so hoch oder noch höher sein wird als die Zahl der COVID-19-Krankenhauseinweisungen vergangener Wellen, so das Ergebnis einer im Januar dieses Jahres vom Institute for Health Metrics and Evaluation der Universität Washington durchgeführten Untersuchung. Die in der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlichte Studie erklärt, eine große Zahl an Mitarbeitern des Gesundheitswesens würde positiv getestet und müsse während der Omicron-Welle unter Quarantäne gestellt werden, was eine doppelte Belastung für die Krankenhäuser bedeute.
Mit Chinas unausgewogener regionalen Entwicklung und unzureichenden medizinischen Ressourcen würde es in er Volksrepublik zu weit verbreiteten Infektionen mit einer großen Zahl schwerer Fälle und zahlreichen Todesfällen kommen, wenn die strengen Maßnahmen zur Viruskontrolle vorzeitig gelockert würden, so die Einschätzung von Experten.
„Dynamisches Null-COVID“ bedeutet nicht „Null-Infektionen“, sagte Liang Wannian, Leiter des Expertenteams für COVID-19-Bekämpfung und -Beseitigung bei der Staatlichen Kommission für Hygiene und Gesundheit Chinas, auf einer Pressekonferenz. Es gehe darum, die Ausbreitung von Neuinfektionen so schnell wie möglich zu stoppen, anstatt die Situation einfach laufen zu lassen.
China habe sich ein wertvolles Zeitfenster für die Zukunft verschafft und müsse „die Gelegenheit nutzen“, um mehr Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln, so Liang in einem Kommentar, der in der offiziellen Zeitschrift der chinesischen CDC veröffentlicht wurde.