Olaf Scholz ist nicht irgendjemand innerhalb der Europäischen Union. Der deutsche Bundeskanzler gilt Hand in Hand mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron als Denker und Lenker im Verbund der 27 Mitgliedsländer. Und, auch wenn das in dieser Form natürlich nirgends niedergeschrieben ist: Einen Wunsch bzw. einen Vorschlag von Olaf Scholz einfach vom Tisch zu wischen, das passiert nicht oft.
Aber es passiert doch hin und wieder, wie man am gescheiterten Versuch von Olaf Scholz und Deutschlands Finanzminister Christian Lindner sah, als die beiden gleichsam in letzter Sekunde die EU-Entscheidung, Strafzölle gegen eAutos aus China zu verhängen, stoppen wollten.
Diese Niederlage auf diplomatischem Parkett für den deutschen Bundeskanzler ist in mehrfacher Hinsicht höchst bemerkenswert. Weil Olaf Scholz dermaßen überzeugt davon war, dass diese EU-Entscheidung den EU-Ländern langfristig mehr schaden würde als China, bediente er sich (was sehr selten passiert) der durch die deutsche Verfassung gedeckten Richtlinienkompetenz. Diese kommt dann zum Tragen, wenn sich die Regierung - was in Deutschland immer öfter passiert - intern nicht einigen kann. Dann hat der Bundeskanzler das letzte und entscheidende Wort.
Man muss nicht hinzufügen, dass jene deutsche Regierungspolitikerin, die sich für die EU-Sanktionen gegen eAutos aus China breit gemacht hat, Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen war. Sie hat von ihrem Menschenrecht, auf falschen Entscheidungen beharren zu dürfen, Gebrauch machen wollen, ehe sie von ihrem Chef overruled wurde.
Was durch die Niederlage von Olaf Scholz und FDP-Finanzminister Christian Lindner, der jener Mann ist, der dafür Sorge tragen muss, dass die Wirtschaft floriert und Geld in die Staatskassa kommt, wieder einmal klar wurde: Die EU ist rund 31 Jahre nach ihrer Geburtsstunde weiter denn je zuvor davon entfernt, eine Einheit zu sein. In Wahrheit gibt es schon lange keine Gemeinsamkeiten mehr in den dringenden Fragen, auf deren Antworten die rund 450 Millionen EU-Bürger mit großer Sehnsucht warten.
Da sind 27 Staaten mit 27 Singular-Interessen, Ausrichtungen, Ideen, Bedürfnissen und Entscheidungsgrundlagen. Das zeigt sich auf dramatische Weise seit Jahren in der Asyl- und Migrationsfrage, in der Frage, wie man sich bei internationalen Konflikten wie dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine verhalten soll und eben auch in der Frage, wie man mit China umgehen soll.
Die Entscheidung der EU, gegen eAutos aus China in die Schlacht zu ziehen, ist (abgesehen davon, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein wird) kurzsichtig, wirtschaftspolitisch falsch und schlichtweg dumm.
Gerade in Zeiten wie diesen, wo die EU mit Russland im Clinch liegt und wo kein Mensch sagen kann, sie es im Fall einer neuerlichen US-Präsidentschaft von Donald Trump mit dem Verhältnis USA / EU weitergehen wird, wäre es sinnvoll gewesen aus Sicht der EU, sich China anzunähern.
Chinas eAutos - und die letzte Meldung darüber ist auch erst ein paar Tage alt - erfreuen sich in weiten Teilen der EU großer Beliebtheit. Was einfache Gründe haben kann und zum Beispiel auch eine Frage der größeren Reichweite oder der besseren Qualität sein könnte.
Kaum wurde besagte EU-Entscheidung bekannt, klingelten in den Wirtschaftsministerien vieler EU-Länder die Telefone und die Angst geht um, China könnte zu Gegenmaßnahmen greifen und tatsächlich Schweinefleisch oder Milchprodukte aus der EU sanktionieren. Dann drohen so manchen Ländern innerhalb der EU extreme wirtschaftliche Turbulenzen.
Dann heißt es wieder zurück an den Start und an den Verhandlungstisch mit China. All das hätte man sich ersparen können, indem man dieses Mal dem durch Deutschland vorgegebenen Weg, auf China zuzugehen, gefolgt wäre.
MARTIN SÖRÖS, FREIER JOURNALIST AUS ÖSTERREICH