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Diese Heuchelei ist nur schwer zu überbieten

03.08.2024 17:19:21

Wir schreiben das Jahr 2000: In Sydney gehen (ausgezeichnet organisierte und stimmungsvolle) Olympische Sommerspiele über die Bühne und ein ganzer Kontinent scheint irgendwie im Ausnahmezustand. Vor allem die außergewöhnlichen Leistungen eines australischen Schwimmers versetzen Australien gleichsam in Ekstase.

Ian Thorpe, noch dazu geboren in Sydney, verzückt mit für nicht möglich gehaltenen Leistungen. In Zahlen liest sich das so: 3mal Gold, 3mal Silber. Dass besagter Ian Thorpe - so quasi nebenbei - vielfacher Weltmeister, Kurzbahn-Weltmeister und Seriensieger bei Commonwealth-Games war, versteht sich.

Jahr 2000? Zu diesem Zeitpunkt herrschte in ganz Deutschland längst nationale Schwimm-Euphorie. Eine junge und darüber hinaus sehr nett anzusehende Dame namens Franziska van Almsick sammelte Europameistertitel, WM-Goldmedaillen und Olympiamedaillen (die ersten beiden im Alter von 14 Jahren!) wie andere Briefmarken. Deutschland lag ihr zu Füßen und tut das auch heute noch. Schließlich ist Franziska van Almsick seit 2010 stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe.

2008 verneigte sich bei den Olympischen Spielen in Beijing die Sportwelt vor einem Ausnahmeathleten namens Michael Phelps. Der US-Amerikaner pflegte seine Gegner im Becken nicht bloß zu besiegen. Er demütigte sie und brachte von den Olympischen Spielen in China immerhin acht seiner insgesamt 23 Olympia-Goldmedaillen nach Hause.

Und was genau haben Ian Thorpe, Franziska van Almsick und Michael Phelps außer den Umstand, unglaublich gute und erfolgreiche Schwimmer gewesen zu sein, noch gemeinsam?

Das: Niemand, aber wirklich niemand, hätte es in deren Prime-Time auch nur ansatzweise gewagt, Dopingvorwürfe zu äußern, das Wort Doping auch nur in den Mund zu nehmen.

Über Ian Thorpe, dessen Schuhgröße 52 (!) halt doch - wenn auch mit erheblicher Verspätung - Verdächtigungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Wachstumshormonen aufkommen ließ, wurde im März 2007 so laut gemunkelt, dass sich die australische Dopingagentur ASADA im August 2007 bemüßigt sah, Ian Thorpe von jeglichem Dopingverdacht freizusprechen.

Und nun machen wir einen kurzen Blick ins Jahr 2024. Genauer gesagt zu den Olympischen Spielen nach Paris. Wieder faszinieren Schwimmer aus aller Welt mit sensationellen Leistungen und nur plötzlich denkt die deutsche Zeitung FAZ laut darüber nach, dass man „…überlegen müsste, ob man China künftig noch zu den Olympischen Spielen antreten lassen soll…“

Michael Phelps (ja genau dieser Michael Phelps) findet den Umgang des Schwimm-Weltverbandes FINA mit Chinas Schwimmern nicht konsequent genug und jetzt hat sich auch noch der ehemalige australische Olympiaschwimmer und jetzige Schwimmtrainer Brett Hawk zu Wort gemeldet und dem chinesischen Schwimmer Zhanle Pan mehr oder minder unverblümt Doping vorgeworfen.

Was ist genau passiert?

Zhanle Pan hat sich Olympiagold über 100 Meter Freistil in der neuen Weltrekordzeit von 46,40 Sekunden gesichert. Er hat also genau das getan, was Michael Phelps 2008 achtmal gemacht hat, was Ian Thorpe 2000 dreimal gemacht hat: Er hat gewonnen. Er war besser als seine Gegner.

Na, so eine Schweinerei - da hat doch tatsächlich ein Schwimmer aus China die Frechheit, schneller zu sein als seine Gegner. Und schon geht diese heuchlerische Debatte über Doping wieder los.

Dass Zhanle Pan in den letzten Monaten und Wochen öfter kontrolliert worden war als alle seine Gegner, ist offenbar keine Erwähnung wert und die Olympiaereignisse von 2000 oder an 2008 sind scheinbar auch schon in Vergessenheit geraten.

Vielleicht sollten sich Sportler und Sportverbände aus den USA, aus Deutschland und - in diesem Fall auch in Australien - mal selbst hinterfragen. Vielleicht trainieren Sportler aus China einfach mehr, effektiver oder begleitet durch ihre chinesischen Trainer einfach mehr zielgerichtet als ihre Gegner.

Erst wenn diese Analyse und (Selbst-)Hinterfragung abgeschlossen ist, sollten all jene, die so gerne irgendwelche Verdächtigungen äußern, wieder den Mund aufmachen. Und bis dahin sollten sie einfach nur trainieren…

MARTIN SÖRÖS, FREIER JOURNALIST AUS ÖSTERREICH UND AUTOR DES DOPING-BUCHES „SPRITZENLEISTUNGEN“ 

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