Eine deutsche Wochenzeitung zitierte in der Überschrift eines Berichtes über die gemeinsame Pressekonferenz zwischen der deutschen Außenministerin und dem chinesischen Außenamtschef Qin Gang dessen Feststellung: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen“.
Frau Baerbock hat also bei ihrem Besuch nicht lassen können, was manch ein hiesiger reflektierender und nicht der Einheitsdarstellung unserer nationalen Medienlandschaft blindlings folgender Beobachter befürchtet hat. Das habe ich namentlich in dem Berufs- und Wirtschaftsnetzwerk Linkedin verfolgen können. So schrieb etwa ein renommierter Rechtsanwalt: „Man kann jetzt nur beten, dass Deutschlands Außenministerin ihren anstehenden Antrittsbesuch in China nicht dazu nutzen wird, um das chinesische Volk über unsere ‚Werte‘ zu belehren. Wir könnten von China, mit seiner rund 4000 Jahre zurückreichenden Geschichte, extrem viel lernen.“ Und ein Mann der Wirtschaft ließ verlauten: „Ich hoffe sehr, dass Frau Baerbock sich einiges an Wissen angeeignet hat, bevor sie nach China reist und dass ihr Auftritt nicht allzu peinlich wird. … Interessant, dass sie es auch nicht für notwendig erachtet hat, eine Wirtschaftsdelegation mitzunehmen. Soll vermutlich ein Signal an die böse Wirtschaft sein.“
In der Tat heben sich solche Betrachtungsweisen wohltuend von unserer auf Konflikt, Abkopplung und Hörigkeit gegenüber der US-Politik abzielenden Medienlandschaft ab. Ein extremes Beispiel etwa die schlimme Vier-Buchstaben-Zeitung, die vor Antritt der Reise Baerbocks nochmals mit dem Titel gehetzt hat: „Außenministerin Baerbock in Asien - Kuscht Deutschland jetzt vor China?“
Und auch in dem Nachrichtendienst „Pioneer“ des früheren Handelsblatt-Herausgebers und -Chefredakteurs Gabor Steingart finden sich dagegen immer wieder wohltuend sachliche Erwägungen. Anlässlich des aktuellen Besuches lässt er etwa Prof. Eberhard Sandschneider zu Worte kommen, der viele Jahre in Mainz und an der Freien Universität Berlin lehrte und von 2003 bis 2016 Direktor der Denkfabrik „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ war. Dieser machte deutlich, dass er mit der Chinapolitik der deutschen Regierung nicht zufrieden sei. Zu viel Moral, zu wenig Realpolitik. Er vermisse den Respekt gegenüber der chinesischen Aufbauleistung. Seine zentrale Feststellung: „Jede Außenpolitik, die auf Erfolg ausgerichtet ist, muss multidimensional sein. Eine rein wertegeleitete Außenpolitik ist verlogen und zum Scheitern verurteilt, weil am Ende immer die Werte hinten runterfallen. “ Und von der angeblich „werteorientierten Außenpolitik“ ist es nicht weit zu einer anderen Schimäre, einem andern „Hirngespinst“. Der sogenannten „regelbasierten“ Ordnung, die im Westen von vielen Politikern ständig zitiert wird. Auch hierzu hat sich Steingart an anderer Stelle geäußert und zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Begriff – m.E. zu Recht – außerhalb des westlichen Lagers für Empörung sorge. Man werfe dem Westen Scheinheiligkeit vor. Man akzeptiere nicht, dass insbesondere die USA die Regeln der internationalen Ordnung für sich großzügig interpretieren – und bei Bedarf auch suspendieren.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass der Besuch von Frau Baerbock im zeitlichen Kontext zu sehen ist mit dem Besuch des französischen Staatspräsidenten Macron in China. Macron hatte in echt staatsmännischer Weise europäische Interessen vertreten, indem er die Notwendigkeit einer eigenständigen europäischen Politik unterstrichen und einer untertänigen Vasallenrolle gegenüber den USA eine Absage erteilt hat. Natürlich war das Geschrei in einschlägigen Medien von „Politico“ bis zu der bereits genannten „Vier-Buchstaben-Zeitung“ groß (angeblich ein „Kniefall vor China“). Und auch von der US-Lobby in unserer Politik gab es einen Aufschrei. Andererseits gibt es in Deutschland auch viele Stimmen, die dem französischen Staatspräsidenten Respekt und Anerkennung erweisen, wie etwa ein Wirtschaftsakteur formulierte: „Macron ist der letzte überzeugte Europäer von Format, den wir noch haben. Von Anfang an hat er unermüdlich Initiativen gestartet und konkrete Vorschläge unterbracht, Europa handlungsfähiger, nach innen akzeptierter und nach außen unabhängiger zu machen.“ Und in der deutschen Politik hat mich ein Statement des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich überzeugt, der Macron zur Seite trat und betonte, Europa müsse versuchen, eine eigenständige Rolle so weit wie möglich zu formulieren und nicht als Anhängsel der USA zu erscheinen.
Halten wir also fest: Der Besuch der deutschen Außenministerin in China war von manch unerfreulichen Zwischentönen begleitet. Aber: Man hat miteinander gesprochen. Man sei sich einig gewesen, dass China und Deutschland das gegenseitige strategische Vertrauen vertiefen sollten. Und schließlich kam auch nach dem Treffen mit dem stellvertretende chinesische Staatspräsident Han Zheng von der deutschen Außenministerin immerhin die Botschaft: Deutschland betrachte China als einen wichtigen Kooperationspartner und sei bereit, den bilateralen Austausch und die Zusammenarbeit mit China in verschiedenen Bereichen zu verstärken, den Personenaustausch zu intensivieren und bilaterale Beziehungen auf eine neue Ebene zu heben.
Dr. jur. Michael Borchmann
Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten
Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.
Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China