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(GMT+08:00) 2005-07-06 17:45:42    
Der Zauberpinsel (3)

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Nach mehreren Tagen gelangte er in ein Städtchen. Nun bin ich schon weit genug vom Heimatdorf entfernt, dachte er, hier kann ich mich wohl ohne Gefahr niederlassen. Und weil er keine andere Arbeit fand, begann er zu malen. Diesmal aber hütete er sich, in den Geruch eines Wünschelmalers zu kommen. Die Bilder, die er feilbot, blieben allesamt leblos, denn nichts malte er vollständig; den Vögeln fehlte der Schnabel, den Tieren ein Bein - mit einem Wort: immer ließ er mit Absicht irgend etwas aus.

Eines Tages aber, als er eben einen augenlosen Kranich gemalt hatte, spritzte er aus Versehen ein paar Tropfen Tusche auf die leere Stelle, und damit war das Unglück geschehen: Sogleich schlug der Kranich die Augen auf, plusterte sein Gefieder und schwang sich in die Luft. Dieses ungewöhnliche Ereignis versetzte die ganze Stadt in Aufregung, und es dauerte nicht lange, so hatte auch der Kaiser durch irgendeinen Wichtigtuer unter seinen Hofleuten Kunde von diesem überraschenden Vorfall erhalten. Daraufhin schickte er sofort ein paar Diener aus, die Ma Liang mit Worten süß wie Honigseim und mit versteckten Drohungen traktierten und den Widerstrebenden schließlich geradezu mit Gewalt in die Hauptstadt schleppten.

Ma Iiang hatte oft schon die Leute davon reden hören, wie schnöde und hartherzig der Kaiser die Armen behandelte. Und so einem verabscheuungswürdigen Monarchen sollte er nun seine Künste zur Verfügung stellen? Nie und nimmer! - Statt eines Drachens, wie ihm der Kaiser befahl, malte er eine abscheuliche Kröte, und als Seine Majestät einen bunt schillernden Phönix zu sehen wünschte, flatterte mit einem Mal ein gerupftes Huhn aus dem Bild. Diese hässlichen Tiere brachten den ganzen Palast in Unruhe; sie besudelten die Prunkgemächer und verbreiteten einen bestialischen Gestank. Dem Kaiser schwoll die Galle. "Nehmt ihm den Pinsel weg!" rief er den Wachen zu. "Fort mit dem Kerl! Werft ihn ins Verlies!"

Mit dem magischen Pinsel versuchte sich der Kaiser nunmehr selbst in der Malkunst. Sein erstes Gemälde stellte einen Berg von Gold dar. In seiner maßlosen Habsucht genügte ihm ein Berg freilich nicht, und so fügte er noch einen und immer noch einen hinzu, bis er schließlich ein richtiges Goldgebirge mit aufsteigenden Terrassen und übereinandergetürmten Gipfeln hingekleckst hatte. Als er dann aber sein Künstwerk näher in Augenschein nahm, war auf einmal keine Spur mehr von Gold zu sehen: Graue Steine, Haufen von Wackersteinen lagen da vor ihm, die, unsinnig hoch aufgeschichtet, unter ihrem eigenen Gewicht zusammenstürzten und im Herniederrollen um ein Haar die Füße Seiner Majestät zerquetscht hätten.

Der Versuch, goldene Berge zu malen, war zwar jämmerlich gescheitert, was den Kaiser jedoch durchaus nicht davon abhielt, sogleich ein zweites Bild in Angriff zu nehmen. Diesmal malte er einen Goldbarren, der ihm in seiner grenzlosen Habgier wiederum zu klein schien, worauf er die Maße streckte und streckte, bis eine dicke, lange, vielfach gekrümmte Goldstange daraus geworden war. Zu seinem Entsetzen aber verwandelte sich dieses goldene Unding urplötzlich in eine gräuliche Riesenschlange, die mit weitaufgesperrtem Rachen geradewegs auf ihn zuschnellte. Vor Schreck fiel er in Ohnmacht, und wären ihm seine Diener nicht schleunigst zur Hilfe geeilt, hätte ihn das Ungeheuer sicherlich mit Haut und Haaren verschlungen.

Der Kaiser sah nun doch ein, dass er ohne Ma Liang mit dem Pinsel nichts anfangen konnte. So ließ er den Jungen wieder aus dem Turm holen, heuchelte ihm das allergnädigste Wohlwollen vor und gab ihm nebst ein paar Silber- und Goldstücken auch noch das Versprechen, ihn mit einer Prinzessin zu verheiraten. Ma Iiang, der sich inzwischen einen Plan zurechtgelegt hatte, tat, als ob er auf die Vorschläge des Kaisers mit Vergnügen einginge. Da freute sich der Kaiser und gab ihm den Zauberpinsel zurück.

Der Kaiser überlegte nun, was er ihn denn jetzt malen lassen solle. Einen Berg? - Da könnten vielleicht gefährliche Tiere hervorspringen. Nein! Ein Meer. Ein schönes, blaues Meer sollte er malen.

Diesen Auftrag befleißigte sich Ma Liang auch unverzüglich zu erfüllen. Flink strich er mit dem Pinsel hin und her; und mit einem Mal glitzerte und gleißte es vor den Augen des Kaisers, und im strahlenden Sonnenlicht lag, herrlich blau und spiegelglatt wie geschliffener Lapislazuli, ein endlos weites Meer vor ihm.

"Das ist ja recht schön", sagte der Kaiser, indem er auf den kristallklaren Meeresgrund hinabblickte, "nur sag mir mal, wo sind denn die Fische ...?"

"Die Fische?" erwiderte Ma Liang. "Einen Augenblick." Flugs tupfte er mit seinem Pinsel hierhin und dorthin, und schon wimmelte es entlang der Küste von buntfarbenen Fischen, die sich ein Weilchen fröhlich im seichten Wasser tummelten und alsdann gemächlich ins offene Meer hinausschwammen. Der Kaiser hatte mit Entzücken dem Spiel der Fische zugesehen. Als sie nun allmählich in der Ferne verwanden, packte auch ihn die Lust, sich aufs Meer hinauszubegeben. "Mal mir ein Schiff, befahl er Ma Liang.

Im Handumdrehen hatte ihm Ma Liang eine große Dschunke gemalt, und nachdem sich der Kaiser mitsamt Familie und Gefolge an Bord begeben hatte, malte Ma liang noch eine steife Brise dazu: Das Meer kräuselte sich, Wellen plätscherten gegen die Planken, und flott stach das Schiff in See.

Dem Kaiser aber ging die Fahrt zu langsam. "He!" schrie er zum Ufer herüber, "mal ein bisschen mehr Wind."

Da holte Ma Liang mit seinem Pinsel kräftig aus: Die Wellen schlugen höher, die Segel füllten sich, und schneller und schneller glitt das Schiff dahin. Noch ein paar Pinselstriche - und die See wurde unruhig, schäumte und tobte; von rollenden Wogen gepeitscht neigte sich die Dschunke seitwärts. Dem Kaiser wurde angst und bange. "Genug!" schrie er aus Leibeskräften. "Genug Wind! Mehr brauchen wir nicht." Darum kümmerte sich Ma Liang herzlich wenig: Emsig schwang er seinen Pinsel, und so stürmisch malte er jetzt, dass die See aufbrüllte und sich mit wutschäumenden, gischenden Brechern auf das in allen Fugen ächzende Schiff warf. Zitternd vor Angst und bis auf den letzten Faden durchnässt, klammerte sich der Kaiser an den Mast, schrie aus Leibeskräften und gab Ma Liang durch wildes Winken zu verstehen, dass er nun endlich den Sturm einstellen möge.

Ma liang aber schenkte ihm nicht die geringste Beachtung. Mit aller Macht schwang er jetzt seinen Pinsel. Ein Orkan brach los. Schwarze Wolken jagten über den Himmel. Die Wogen türmten sich haushoch empor, schmetterten auf das Schiff nieder und schlugen es in Trümmer: Der Kaiser und sein Gefolge versanken in den Fluten.

Die Geschichte, wie Ma Liang mit seinem Zauberpinsel den bösen Kaiser ins feuchte Grab gemalt, war bald in aller Munde. Später soll Ma Liang, wie es heißt, wieder in seine Heimat zurückgekehrt sein und seine Tage unter den Gefährten seiner Jugend als Bauer beschlossen haben; andere wieder behaupten, er wäre fortan jahraus, jahrein von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf gezogen und hätte allerorts den Armen mit seinem magischen Pinsel gute Dienste getan. Was aber wirklich aus dem kleinen Ma Liang geworden ist, weiß wohl niemand mit Sicherheit zu sagen.

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