v Radio China Internationalv Die deutsche Redaktion
China Radio International
China
International
  Wirtschaft
  Kultur
  Wissenschaft
  Sport
  Bild-Nachrichten

v Sieg des Widerstandskriegs gegen japanische Aggression in China
v Quiz - Die chinesische Schatzinsel Taiwan
v Beijing 2008
mehr>>
v China ABC
v Die chinesische Malerei
v Traditionelle Wohnhäuser in China
v Chinesische Geschichte
mehr>>
(GMT+08:00) 2005-06-29 15:42:02    
Der Reiter im grünen Gewand (6)

cri
Unverzüglich bestieg sie das schwarze Ross, und wie im Flug sauste sie dahin; der Wind pfiff ihr um die Ohren, weiße Wolken segelten an ihr vorbei; und es dauerte nicht lange, so erblickte sie auch schon von ferne ein in goldrotem Glanz erstrahlendes Geisterschloss. Das Ross hielt vor dem Portal. Sogleich eilte sie hinein und trug dem Geisterkönig ihre Bitte vor. Gerührt von der Einfalt ihres Herzens lauschte der mächtige Geist gnädig ihren Worten. "Gewährt sei dir die Bitte, holdes Kind, denn reinen Herzens tratest du vor meinen Thron", sprach er zu ihr mit väterlicher Güte. "Doch musst du noch vor Morgengrauen das Volk verständigen, dass ich dir deine drei Wünsche gewährt habe. Denn nur wenn das Volk Kunde davon erhalten hat, können die Wünsche auch wirklich in Erfüllung gehen; dann wird der eisige Frosthauch weichen und dein Gemahl wird das Erdendasein ertragen."

Glückstrahlend bedankte sich die junge Frau, schwang sich auf ihr Ross und jagte davon, um noch vor Tagesanbruch dem Volke die Botschaft zu bringen.

Als sie auf ihrem Weg durchs Tal an der Burg ihres Vaters vorbeikam, da trat der Alte gerade aus dem Tor. "Wohin reitest du in später Nacht?" rief er verwundert.

"Ach, Vater, etwas Wunderbares, Unglaubliches hat mir der Geisterkönig versprochen. Und nun reite ich von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus und bringe allen die frohe Kunde."

"Warum so eilig? Was hat er dir denn versprochen, Tochter?"

"Vater, ein andermal werd' ich dir's sagen. Die Zeit drängt, ich kann nicht länger verweilen."

Da kam der Chungpon die Steinstufen herab:

"Der Herr hier bin ich. Sprich! Dein Vater muss zuerst erfahren, was hierzulande vorgeht", und er fasste nach dem Halfterriemen ihres Pferdes.

Um nur möglichst schnell fortzukommen, erzählte sie ihm nun in aller Hast, dass ihr der Geisterkönig versprochen habe, die Unterschiede zwischen Arm und Reich aufzuheben. Mit gerunzelten Brauen unterbrach sie der Alte:

"Wenn's keine Armen und Reichen mehr gäbe, wo blieben dann die Standesunterscheide? Dann hättet ihr euch eure Mitgift selbst erarbeiten müssen, du und deine Schwestern. Keine Reichen und Armen mehr! Eine feine Welt wäre das!" Und wütend zerrte er am Halfter.

"Und zweitens hat mir der Geisterkönig zugesagt, dass nie wieder Herren das Volk zwacken und knechten werden."

"Wer würde dann für uns fronen, wer unsere Rinder und Schafherden weiden, wer für uns pflügen und säen?" rief der Alte zornig und verlangte das dritte Versprechen zu hören.

"Und drittens hat er uns eine große Straße von hier bis Beijing versprochen, damit wir mit dem Han-Volk Reis und Korn gegen unsere Rinder und Schafe tauschen können. Und wenn all dies in Erfüllung gegangen ist, wird auch die eisige Kälte für ewig weichen, so dass ..."

Der Chungpon aber ließ sie gar nicht erst ausreden: "Das ist alles Unsinn!" fluchte er. "Was soll uns das Getreide des Han-Volkes? Haben wir nicht genug an unseren Rindern und Schafen? - Unsinn! Glaub ihm nicht, dem Geisterkönig! Und dass du dich ja nicht unterstehst, dem gemeinen Volk auch nur ein Wort von alledem zu sagen!"

"Vater, lass mich fort!" rief das Mädchen. "Ich darf nicht länger verweilen!" Der Alte aber ließ nicht locker, und da sie nicht freikommen konnte, bat und bettelte sie und schrie in schierer Verzweiflung. Schon krähte der Hahn zum ersten Mal. Nicht Bitten, nicht gute Worte, nicht Zank, noch Geschrei, nichts half, nichts. Mit aller Macht klammerte er sich ans Riemenzeug. "Von Sinnen bist du, von Sinnen. Die Mitgift willst du deinen Schwestern rauben. Elende ... Aufruhe stiften unter den Hirten ... die Fronknechte aufwiegeln gegen deinen Vater, Verfluchte, Verruchte, du ..."

Verzweifelt rang sie mit ihm, verzweifelt wandte und drehte sie sich im Sattel, packte seine Hand und suchte den klammernden Griff zu lösen. - Da, horch! schon kündete der zweite Hahnenschrei den nahenden Morgen.

In ihrer Herzensangst riss sie die Peitsche hoch und schlug auf das Ross ein. Und jäh bäumte es sich und schoss mit einem gewaltigen Sprung empor, dass dem Alten die Riemen entglitten und er zu Boden fiel. Doch, wehe, kaum hatte sie dem ersten Dorf im Tal Nachricht gebracht, krähte der Hahn zum dritten Mal. Und so ward der Wille des Geisterkönigs nur wenigen Familien kund.

Schon graute der Himmel im Osten. Die Frist war um, die gefürchtete Stunde gekommen, jede Hoffnung auf Rettung geschwunden. Und blutenden Herzens kehrte sie wieder heim.

Klagegeschrei empfing sie zu Hause, herzzerreißendes Schluchzen und Weinen. In Tränen aufgelöst kauerte ihre Schwiegermutter bei der Bahre und murmelte in trostlosem Schmerze: "Mali ... Mali ... Mali ..."

Schluchzend war sich die junge Frau über den Toten, jammerte und klagte, verwünschte ihre Neugier und Ungeduld und die herrische Hartherzigkeit ihres Vaters.

Die beiden Alten bestatteten den Toten an einem Felsen in halber Höhe des Berges. Abend für Abend, wenn die Schatten schräg zu Tal fielen, eilte die junge Frau zum Grab ihres Mannes und klagte den Felsen ihr Weh und ihre Schuld. So geschah es eines Tages, dass sie am Grab ihres Mannes mitten im Gebet zu Stein erstarrte. Seither hat man auch nie wieder ihre klagende Stimme im Tal gehört.

Noch heute bemerkt der Wanderer in jenen einsamen Höhen mit staunendem Auge die steinerne Mädchengestalt auf dem steilen Felsen. Mit sturmzerzaustem Haar steht sie dort, den Blick in die Ferne gerichtet, und betet ihr ewiges Gebet.

vorige Seite