Die arbeitsfreien Feiertage bieten die Gelegenheit, sich mit der Familie, mit alten Freunden und Bekannten zu treffen. Zu den zahlreichen Partys und Veranstaltungen, die während der Feiertage stattfinden, gehört auch ein etwas ungewöhnliches Klassentreffen. Zu dem treffen sich bereits im Vorfeld des Nationalfeiertages 16 pensionierte Germanisten. Sie gehören zu den ersten Germanisten der Volksrepublik China und haben vor 50 Jahren unter extrem schwierigen Bedingungen ihr Germanistikstudium aufgenommen. Zwar ist seitdem bereits ein halbes Jahrhundert vergangen, aber die seit 10 Jahren pensionierten 70-Jährigen Geisteswissenschaftler erinnern sich gerne an ihr Studium und ihre Karriere zurück. Denn die 50 Jahre als Germanisten waren für sie keine einfache Zeit.
Fünf Jahre nach ihrer Gründung brauchte die junge Volksrepublik dringend qualifizierte Diplomaten und Übersetzer, um die Verständigung mit den anderen Völkern der Welt zu fördern. Zu diesem Zweck haben im September 1954 drei neugegründete Fremdspracheninstitute in den chinesischen Großstädten Beijing, Shanghai und Tianjin 20 Schüler ausgewählt und aufgenommen.
Auf dem Treffen erzählte uns der damalige Klassensprecher Shi Qizhi, dass damals nur überdurchschnittlich qualifizierte Schüler von solch einem Studienplatz träumen konnten. Die schwierigen Studienbedingungen und der große Stress seien heute kaum vorstellbar: Shi Qizhi.
"Wir hatten damals sehr fleißig studiert. Oft arbeiteten wir bis 10 Uhr abends. Denn die deutsche Sprache war für uns neu und schwer. In der Mittelschule hatten wir zwar Englisch-Unterricht und manche konnten auch Russisch. Aber von Deutsch hatten alle keine Ahnung. Eigentlich haben wir uns das Studienfach nicht selbst aussuchen können, vielmehr wurde uns der Studienplatz zugeteilt. Das war völlig anders als heute. Die jungen Menschen von heute können selbst entscheiden, welches Fach sie an welcher Hochschule studieren wollen, solange sie Interesse dafür haben und die nationale Aufnahmeprüfung bestehen. Aber wir hatten uns darüber nicht beschwert. Denn damals träumten alle einfach von einem Studienplatz, ganz egal welches Fach sie studieren sollten. Ausgebildete Arbeitskräfte waren für den Aufbau Chinas nach den Kriegen unheimlich wichtig. Die Studienbedingungen waren sehr primitiv. Der Campus der Fremdsprachenhochschule war erst fertig gestellt. Die Hochschule befand sich in einem Vorort Beijings und die Straßen dorthin waren noch nicht ganz fertig gebaut. Wir hatten auch keine richtige Mensa. Zum Essen gingen wir entweder in den Hörsaal oder wir blieben im Studentenwohnheim. Wir hatten weder ein Sprachlabor, noch deutschsprachige Zeitungen oder Zeitschriften. Es fanden nur sehr wenige Konversationsübungen statt. Auch die Freizeitmöglichkeiten waren nicht so vielfältig wie heute. Wir hatten damals kaum Gelegenheit, ins Kino oder ins Theater zu gehen. Nach dem Unterricht haben wir täglich ein bis zwei Stunden Sport getrieben. Nur zu wichtigen Festen und Feiertagen gab es richtige Feiern, z. B. in Form von Kulturabenden. Doch wir lernten unser Studium zu schätzen und studierten vor allem sehr fleißig. Die meiste Zeit verbrachten wir in unserem Übungsraum. Zwar hatten die Lehrer eine aus der heutigen Sicht eher einfache Lehrmethode und wir mussten unter sehr schwierigen Bedingungen studieren. Aber wir haben schließlich das Staatsexamen bestanden."
Die Mühe hat sich ausgezahlt. Shi Qizhi, der ehemalige Sprecher der Gruppe, und ein Dutzend seiner Kommilitonen haben sich eine völlig neue Sprache aneignet. Sie sind danach unterschiedlichen Ministerien und staatlichen Institutionen zugeteilt worden. Dort arbeiteten sie bis zu ihrem Ruhestand als Dolmetscher, Übersetzer und Forscher.
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