Unsere Xinjiang-Reise blieb auch in den nächsten Tagen eine wunderbare Entdeckungstour. Yunfan und ich erlebten hautnah, was ein chinesischer Milliardär mit Hunderten oder sogar Tausenden von Pferdekunstwerken und echten Pferden anstellt – er stellt sie aus. Wir lernten Menschen kennen, die über sich hinauswachsen und dabei andere mitreißen. Und wir ließen uns vom uigurischen Tanz und Gesang verzaubern.
Xinjiang gilt nicht ohne Grund als die Heimat von Tanz und Gesang. Die Lebensfreude der Uiguren zeigte sich für mich besonders deutlich in ihrer Musik, die mich oft an traditionelle türkische, arabische und persische Musik erinnerte, natürlich wegen der gemeinsamen Wurzeln. Beim Tanzen und Singen schienen die Uiguren ganz bei sich zu sein und völlig unbeschwert. In Afrika und Brasilien habe ich Ähnliches gesehen.
Als Soundtrack für unsere Reise würde ich konsequenterweise uigurische Musik wählen, traditionelle, aber auch moderne bis hin zu Goa-Trance-Versionen, die wir tatsächlich auch zu hören bekommen sollten. Zu einem Film über Xinjiang würde ich Spieße und Naan-Brot reichen oder eine deftige Hammelsuppe.
Als ich mir die öffentlichen Sammlungen von Pferdebildern und echten Pferden des chinesischen Selfmade-Milliardärs, Kunstmäzens und Xinjiang-Unterstützers Chen Zhifeng in Ürümqi ansah, hatte ich noch keinen uigurischen Ohrwurm, der mich begleitete. Das änderte sich schlagartig, als ich einen Tag später in Aksu die 39-jährige uigurische Lehrerin Kadiriya Kahar in der von ihr geleiteten Grundschule besuchte. Obwohl drei Viertel der Schüler dort Han-Chinesen sind, kommt ihre uigurische Tanz-AG bei allen offenbar sehr gut an – auch bei mir, die Musik verfolgte mich den ganzen Tag lang.
Ein großflächiges fotorealistisches Pferdegemälde ist eindrucksvoll, mehrere können, wenn sich die Motive unterscheiden, auch noch interessant sein. Aber wenn man mit gefühlt Tausenden Pferdebildern und Pferdeskulpturen konfrontiert wird, dann fühlt man sich bald erschlagen, mir ging es jedenfalls so. Aber ich wurde während dieser Reise sowieso von so viel Neuem reiz-überflutet. Das „Ich glaub mich tritt ein Pferd!“-Gefühl verstärkte sich jedenfalls noch, als wir lebendige Tiere zu Gesicht bekamen, denn ich kam so dicht heran, dass sie ohne Probleme hätten auskeilen können.
Journalisten-Kollege Cyprien Kapuku mit dem größten Pferd.
Einige Kollegen erweckten den Eindruck, als hätten sie noch nie ein Pferd gesehen. Als sie dann auch noch aufsitzen durften, sah ich in ihren Augen ein Strahlen wie bei einem gelungenen Kindergeburtstag. Ich fand aber die Tierchen – das größte wog bestimmt eine Tonne – auch niedlich.
Es waren besondere Pferde zu sehen. Der 56-jährige Chen Zhifeng, der mit Rohstoff- und Unterwäschehandel reich und als „Außenhandelskönig von Xinjiang“ berühmt wurde, besitzt auch seltene Wildpferde. 1994 hatte der damals 30-Jährige die Wirtschafts- und Handels-GmbH Wildpferd in Xinjiang gegründet. Da zu den Hobbies des ehemaligen Kameramanns neben der Photographie die Kalligraphie und die Malerei gehören und er wirklich sehr viel für Xinjiang tut, konnte ich ihm den optischen Pferdeoverkill gerade noch so verzeihen.
In einem anderen Teil des Museums waren viele großformatige Bilder von Menschen ausgestellt. Vor allem die Porträts von alten Männern und Frauen faszinierten mich. Ich mochte die faltigen oder sogar zerfurchten Gesichter, welche vom Leben, aber auch von den Menschen selbst gezeichnet worden waren und aus denen mich weise und sehr lebendige Augen anblickten. Der Schönheit des Alters hier so großen Raum zu geben, zeugte von der Klugheit des Kunstsammlers Chen.
Selfie vor Ölgemälde
Direkt vor Ort gab es auch einen Museumspark, in dem mir die versteinerten mit Schnee bedeckten Bäume am besten gefielen, die durch die Zeit nicht vergangen, sondern beinahe unvergänglich geworden waren – natürliche Skulpturen.
Natürliche Skulpturen: Versteinerte Bäume