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Heute ist die chinesische Kalligraphie auf der ganzen Welt bekannt geworden, zahlreiche Menschen in vielen verschiedenen Ländern haben sie schätzen gelernt. Manche Künstler im Westen haben auch chinesische Zeichen in ihren modernen Bildern und Skulpturen verwendet.
Am Anfang der 20. Jahrhunderts begründete Wassilij Kandinsky die abstrakte Malerei. Seine Schule verzichtet auf die Wiedergabe konkreter Gegenstände und konzentriert sich auf abstrakte Formen. Punkte und Striche, Fläche und Ausschnitt
sowie die Farbe sind die Elemente, mit denen die Empfindung des Künstlers für das Schöne zum Ausdruck kommt. Diese Gegenstandslosigkeit halten die abstrakten Künstler für eine wichtige Übereinstimmung mit der chinesischen Kalligraphie, von der sie sich Anregungen erhoffen. Betrachten wir Kandinskis "Erstes abstraktes Aquarell": Es besteht aus größeren und kleineren Farbstücken und Strichen, das scheint ein Durcheinander ohne Zentrum zu sein, eine beliebige Schmiererei, oder aber eine Ansammlung von Farben und Formen aus dem gedächntnis des Künstlers, die er dann in seiner eigenen Interpretation auf dem Papier
kombiniert. Diese Flecken und Linien können im Betrachter verschiedene Assoziationen auslösen: Es ist ein hastiges Kommen und Gehen, oder ein Markt auf dem Land, viele Menschen scheinen etwas zu besprechen; manche Striche scheinen den Verlauf einer Bergkette nachzuzeichnen; einige Farben wollen sich über den Rahmen des Bildes hinaus strecken. Der Pinselstrich hat Biss und ist gleichzeitig locker, harmonisch und doch von ungebärdiger Bewegung. Plötzlich scheint mir darin wirklich etwas von unserer Wilden Grasschrift enthalten zu sein.
Paul Klee drückte in seiner Malerei mit Form, Farbe und Raum direkt eine individuelle Empfindung aus, er verwendet dazu auch etwas wie die Formensprache der Musik. Wir zeigen auf dieser Seite zwei seiner Bilder. Sie könnten völlig aus der Geometrie des Euklid hergeleitet worden sein. Die Striche bilden sonderbare Formen, ganz ähnlich wie die eingeritzten Symbole auf den alten Tongefäßen, noch bevor sich die chinesische Schrift entwickelt hatte.
Sir Herbert Read, der Dichter und Ästhetiker, hat in einem Werk über die Geschichte der modernen Malerei den Abstrakten Expressionismus als eine mühevolle Weiterführung des expressionistischen Elements in der chinesischen Kalligraphie bezeichnet.
Henri Matisse strebte als Maler nach der reinen und fließenden Linie, nach den zarten und dennoch leuchtenden Farben. Als Fauvist und auch als der neben Picasso bekannteste Meister in Frankreich und im Europa der modernen Kunst wandte sich Matisse wie viele andere gegen die Tradition der Perspektive. Seine Bilder lassen vielmehr an die Ornamente islamischer Teppiche, Textilien und Wandbilder denken. Er male nach dem Beispiel der Chinesen, sagte Matisse.
Joan Miro ist bekannt für die Schlichtheit und Prägnanz, gleichzeitig auch für die reiche Phantasie, die sich in seinen Bildern und Skulpturen zeigt. Das Wichtigste war für ihn die Poesie, er wollte mit der Vernunft eines Erwachsenen des 20. Jahrhunderts das Wesen der Natur wie ein Kind oder wie ein "Primitiver" begreifen. Jemand hat behauptet, dass der Raum in Miros Werken eng mit dem Raum in der
Kalligraphie Ostasiens zusammenhängt. Miros "Selbstporträt" ist eine geniale Konzeption. Er hat mehrere Wochen vor dem Spiegel mit einem Bleistift daran gearbeitet.
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