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Die traditionellen Wohnhäuser in Lijiang sind ein Spiegel des Lebens und der Kultur der Naxi. Man empfindet nicht nur ihre schlichte, klare und natürliche Schönheit, sondern verspürt gleichzeitig die Kontinuität dieser frühen Kultur als auch das Zusammentreffen und die Verschmelzung mit anderen Kulturen, so als tränke man einerseits ein Glas von einem lang gelagerten hervorragenden Wein und dann wiederum einen wohl gemixten Cocktail.
Lijiang mit seiner langen Geschichte und Kultur verfügt auch über eine sehr individuelle Architekturgeschichte. Die Wohnhäuser haben sich ganz offensichtlich von den Höhlenwohnungen der Frühzeit über Baumhäuser und Blockhäuser zu den heutigen Wohnhäusern in der Altstadt mit ihren drei Eingangstoren und einer Schutzwand, die den Haupteingang verdeckte und traditionell zur Abwendung böser Geister diente; den Wohnhöfen mit Innenhof als auch den Gebäuden mit ihren durchgehenden Baikonen entwickelt.
Die Blockhäuser in der Gegend um Lijiang repräsentieren die Urform der Wohnhäuser des Naxi-Volkes. Heutzutage kann man sie noch oft an den Ufern des Lugu-Sees im Kreis Ningliang, wo die Mosu, eine Untergruppe der Naxi, leben, und in einigen Dörfern am Rande von Huangpi sehen. Es handelt sich dabei um Gebäude mit einer durchgehenden Holzstruktur. Aus gehobeltem Rohholz, an dessen Enden Keile eingeschlagen wurden, wird zunächst ein Gerüst erstellt, dessen vier Wände dann ebenfalls mit Holz aufgefüllt werden und das ein Dach aus Holzbrettern erhält. Holz ist ein leichter Baustoff und Blockhäuser sind recht einfach zu bauen und praktisch in der Benutzung.
Zu Beginn bestanden die Blockhäuser lediglich aus einem Gehöft, doch durch den Einfluss anderer Kulturen verwandelten sie sich allmählich in konventionelle Komplexe mit Haupthaus, Seitenflügel, "Blumengebäude" und Torturm, auch Strohgebäude genannt. Das Haupthaus dient als Lebensraum für die gesamte Familie, dient sowohl geschäftlichen, kulinarischen als auch religiösen Zwecken. Der Seitenflügel, auch Gebetshalle genannt, besteht oftmals aus zwei Stockwerken, oben ist das Zimmer des Lamas oder ein Opfertisch mit Buddhastatue. Unten wohnen allein stehende männliche Familienangehörige oder Gäste. Im Blumengebäude wohnen die Frauen. Im Torturm lagert man oben Stroh, unten rechts und links neben dem Tor ist das Vieh untergebracht. Das Haupttor eines Mosu-Hauses liegt zumeist gen Osten oder Norden. Der Hof ist sehr groß, freudige und traurige Anlässe werden dort begangen. Der Aufbau des Haupthauses ist recht komplex, hinter dem Hauptraum befindet sich ein Mehrzweckraum, der sowohl als Lagerraum für Lebensmittel als auch als Wohnraum für die Alten fungiert. Rechts neben dem Hauptraum liegt das Wohnzimmer der Hausherrin. Im Hauptraum selbst befindet sich in einer Ecke eine Kochgelegenheit; der Hausaltar mit Götterstatue, Opfergaben und Blumenvasen liegt im Scheitelwinkel darüber. Darunter liegt die Feuerstelle. Rechts von ihr sitzen in fester Reihenfolge die Gastgeber, links die Gäste. Es gibt zwei große Säulen im Raum, die linke für die Männer, die rechte für die Frauen. Werden die Jugendlichen in der Erwachsenenwelt aufgenommen, wird diese Zeremonie für die Jungen an der linken Säule, die für die Mädchen an der rechten Säule vorgenommen.
Offensichtlich sind Aufbau, Struktur und Dauer der Blockhäuser untrennbar mit der Lebensumgebung der Naxi und den Lebensbedingungen in einer Agrargesellschaft verbunden. Das Alltagsleben, die natürlichen Bedingungen und handwerklichen Fähigkeiten bestimmen im Wesentlichen die Struktur und das Aussehen der Häuser. Doch gleichzeitig hat die Raumaufteilung auch einen engen Bezug zum Glauben und zur Familienstruktur. Und hier haben die frühen Vorstellungen des Volkes dafür gesorgt, dass in der Architektur ihrer Häuser viele kulturelle Aspekte und eine starke Symbolik zu finden sind.
In Lijiang selbst haben sich die traditionellen Blockhäuser der Naxi unter Wahrung ihrer Vorzüge allmählich zu den Wohnhof-Gebäuden der Han-Chinesen mit ihrer Lehm- und Holz-Struktur, die wir heute überall sehen, entwickelt. Hierfür lohnt es sich, einen Blick auf bestimmte geschichtliche und kulturelle Aspekte zu werfen:
Im Jahre 1253 n. Chr. begann die Selbstverwaltung durch das Oberhaupt der Familie Mu, die 470 Jahre andauern sollte. In dieser Zeit wurden auf kulturellem Gebiet viele neue Aspekte aufgenommen. Mit Enthusiasmus lernte ihr Oberhaupt die Kultur der Han-Chinesen, tolerierte parallel nebeneinander sowohl den Buddhismus, Lamaismus als auch den Taoismus. Er übernahm Produktionstechniken der Han-Chinesen und verstärkte die politischen und wirtschaftlichen Kontakte zu den chinesischen Zentralgebieten. Wirtschaft und Kultur Lijiangs erlebten daraufhin einen rapiden Aufschwung. Die Wandgemälde im Dabaoji-Palast in Baisha in der Gemeinde Lijiang, auf denen Themen und Techniken tibetischer, hanchinesischer und Naxi-Kunst zu finden sind, liefern aussagekräftige Belege für die Verschmelzung dieser drei Kulturen.
Im Jahre 1723 fand der von Yong Zheng initiierte, Machtwechsel statt und die Zuständigkeit für Lijiang verlagerte sich auf die kaiserlichen Beamten aus Zentralchina. Das Volk der Naxi war fürderhin bezüglich Religion, Wertvorstellungen und Lebensstil noch stärkeren hanchinesischen Einflüssen ausgesetzt.
1921 kam der amerikanische Gelehrte Joseph Rock zu Forschungen über die Dongba-Kultur der Naxi nach Lijiang. Er schloss Freundschaft mit ihnen und sie akzeptierten ihn, keine Rede davon, dass sie ihn aufgrund seiner andersartigen Kultur diskriminiert hätten. Rocks Untersuchungsergebnisse lieferten später weltweit wichtige Erkenntnisse zum Verständnis Lijiangs.
1988 gründete der Lijianger Xuan Ke ein Musikensemble für traditionelle Naxi-Musik. Zuerst spielten sie in einem großen Hof im Norden der Stadt und niemand schien sich weiter für sie zu interessieren, einige Zuschauer mussten sogar von Xuan Kes Schülern aus den Kneipen abgeworben werden. Doch schon bald schätzte man ihre Musik im In- und Ausland sehr, ein weiterer Aspekt des offenen Volkscharakters der Naxi aus Lijiang hatte sich offenbart.
Da sich die Ahnen der Naxi kulturell allmählich öffneten und Dayan seit undenklichen Zeiten eine wichtige Poststation auf den Handelskorridoren Yunnan-Tibet und Sichuan-Tibet war, die zugleich als Kulturkorridor diente, etablierten die Naxi hier eine ganz eigene Kultur. Sie verstanden es, die Vorzüge anderer fortgeschrittener Kulturen zu erlernen und zu adaptieren. Betrachtet man ihre alten Wohnhäuser in der Altstadt Lijiang genauer, erkennt man den großen Einfluss dieser Kulturverschmelzung auf die Baukunst. Und es ist ganz offensichtlich, dass die Baukultur der Naxi, Han, Bai und Tibeter hier eine sehr harmonische Verbindung eingegangen sind.
Am häufigsten sind in Lijiang folgende traditionelle Wohnhausformen des Naxi-Volkes anzutreffen: Wohnhäuser mit drei Eingangstoren und einer Schutzwand, Wohnhöfe mit vier Gebäuden und Hof und Wohnhöfe mit Vorder- und Hinterhof, wobei erstere weitaus am häufigsten vorkommen. Sie zeichnet sich durch einige Charakteristika aus: Das Haupthaus ist recht hoch, die beiden Seitengebäude etwas niedriger. Hinzu kommt noch eine Schutzmauer. Alles wirkt wohldurchdacht und scheint gut aufeinander abgestimmt zu sein. Die langen Dachvorsprünge sind leicht geschwungen, die schönen zarten Kurven geben den Häusern etwas Leichtfüßiges. Die Wände sind zur Verstärkung der Stabilität des Gebäudes leicht nach innen gekrümmt. Auf allen vier Seiten befinden sich Umfassungsmauern, die ausnahmslos niedriger sind als die Gebäude. Die Fenster über den Fensterbänken sind aus Holz gebaut. Damit das Holz nicht nass wird, sind die meisten Dachvorsprünge weit nach vorne gezogen, außerdem ist am Querbalken der hervorstehenden Dachgiebel von einem Ende zum anderen noch ein Brett angebracht, das von den Einheimischen als "Wind-Feuer-Mauer" bezeichnet wird. Um die Ästhetik des Hauses zu erhöhen, wird oftmals ein Balkon mit Geländern angebaut. Um die Querbalken vor Rissen zu schützen, den künstlerischen Wert des Hauses zu erhöhen und die Eintönigkeit der aufstrebenden Dachgiebel zu durchbrechen werden schließlich noch Schmuckleisten angebracht. Wenn dann noch die Hauptgebäude, die Schutzwand, Wände und Wandvorsprünge verziert werden, weist das Gebäude überall unterschiedliche Höhen auf und ist ein in sich ausgewogener Wohnkomplex mit einem abwechslungsreich gestalteten Äußeren. Wohnhäuser mit drei Eingangstoren und einer Schutzwand sind das beste Beispiel für den hohen Stand der Architektur des Naxi-Völkes.
Das Hauptgebäude ist i.d.R. nach Süden ausgerichtet. Hier wohnen die Alten. Die Seitengebäude sind wie bereits erwähnt, etwas niedriger. Hier wohnt die jüngere Generation. Unten ist Wohnraum, oben Platz zum Lagern. Der Hof ist Lebens- als auch Arbeitsraum, beispielsweise wird er für das Trocknen und die Weiterverarbeitung des Getreides genutzt. Er ist oft gemauert und mit Blumen bepflanzt. Vor jedem Haus befindet sich noch ein weiterer wichtiger Bestandteil der Lijianger Naxi: ein großer Nebenraum mit Außenkorridor. Dem angenehmen Klima angepasst wird so ein Teil des Lebens wie Essen, Gäste empfangen etc. von drinnen nach draußen verlagert. Geht der Nebenraum auf die Straße hinaus, wird hier auch häufig ein Laden betrieben, Lijiang ist ja seit alters für seinen regen Handel bekannt.
Leben und Kultur eines Volkes unterliegen häufig Einflüssen von außen. Ein Teil von Dir findet sich auch in mir und umgekehrt. Das ehrliche, einfache und natürliche Leben in den Höfen und Läden hat die ausgeglichene und uneigennützige Kultur des Naxi-Volkes hervorgebracht. Steht man in ihren Gebäuden, kann man sich sehr gut in die Kultur dieses Volkes hineinversetzen und zumindest rein gedanklich ein Stück Naxi-Kultur in sich aufnehmen und nachempfinden.
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