The looming storm
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Regen, überall Regen, kaum etwas ist zu erkennen außer einem verschwommenen Heer an Kapuzenträgern. „The Looming Storm", also der aufkommende Sturm oder im Original „Bào Xuě Jiāng Zhì", weiß es eine unglaublich dichte Atmosphäre zu erschaffen.
Der Film von 2017 ist das Erstlingswerk des Regisseurs und Drehbuchautors Yue Dong. Und es vermag als Debutwerk mit überraschend großen Namen aufzuwarten - Duan Yihong und Du Yuan vor der Kamera und Cai Tao und Ding Ke dahinter.
Der Film ist ein moderner Noir, ein Crime Film, ein Thriller, jedenfalls beginnt er mit der Jagd eines Serienmörders doch bietet er noch sehr viel mehr. Er ist zugleich auch ein Drama, eine Milieustudie und irgendwie auch etwas romantisch.
Wir schreiben das Jahr 1997 in der chinesischen Provinz Hunan. In einem kleinen Ort befindet sich ein Stahlwerk. Das Leben findet in einem Dānwèi, wörtlich einer Arbeitseinheit, also einem Arbeitsquartier, statt. Arbeit und Wohnen fallen dort zusammen. Die kommende Privatisierung wird versuchen, die alten Staatsbetriebe zu verjüngen, doch im Moment laufen sie nicht mehr so wie sie sollen und die Stimmung ist wie dieser Film: grau verwaschen.
Der Protagonist ist Yu Guowei. Er wird von Duan Yihong gespielt. Für ihn gibt es nur eines: die Arbeit. Sie geht immer vor. Auch wenn er dafür tagelang freiwillig auf Schlaf verzichtet. Er ist Leiter der Sicherheit im Stahlwerk. Üblicherweise fängt er betriebsinterne Diebe und sorgt für allgemeine Ruhe und Ordnung. Seine detektivischen Fähigkeiten werden hoch gelobt und er wird damit zum Arbeiter des Monats gewählt.
Eine Leiche wird auf dem Gelände des Stahlwerks gefunden. Es handelt sich um eine junge Frau. Vom Profil her ist sie ein weiteres Opfer in einer Serie von Morden. Der Sprung von der Frage der Polizei, ob er sie darüber aufklären könnte, wer von den Werksarbeitern zum Mordzeitpunkt auf Arbeit war und wer nicht – hin zum selbsternannten Ermittler in dieser Reihe von Morden ist überraschend klein. Dawei wird dabei von den jüngeren Polizisten als dümmlicher Werks-Security verlacht, doch der Leiter der örtlichen Polizei, gespielt von Du Yuan, erkennt sein Potential für diesen Fall und seine ehrliche Anteilnahme für die Opfer. Er kennt die Belegschaft des Werkes wie seine Westentasche.
Damit hat man schon ein gutes Setting für einen Thriller, es fehlt nun nur noch eine Priese „Besessenheit" mit der Aufklärung des Falls. Diese folgt auch schleichend auf Schritt und Tritt. Dawei lässt der Mordfall keine Ruhe mehr und er beginnt mehr und mehr sich selbst und seine reguläre Arbeit zu vernachlässigen. Dies geht auf Kosten seines Lehrlings, der ihn liebevoll Meister nennt, als auch auf Kosten seiner Romanze mit Yanze, gespielt von Jiang Yiyun. Er lernt Yanze im Rahmen seiner Ermittlungen kennen. Sie bewegt sich in zwielichtigen Kreisen und träumt von einem besseren Leben. Mit ihr wird der Thriller romantischer und offenbart die psychologische Tiefe des Lebens in der Arbeitersiedlung aber auch wie sehr der Fall dem Sicherheitschef zu Kopfe steigt. Der Protagonist erscheint immer fraglicher in seinem manipulativen Handeln und seiner eigentlichen Motivation. Hinter der Maske des von der Arbeit getriebenen immer freundlichen Leiters der Sicherheit befindet sich doch eine viel tiefere Persönlichkeit.
Duan Yihong zaubert einen vielschichtigen Charakter auf die Leinwand, der es vermag den Zuschauer zur Weißglut zu treiben aber auch mit ihm mitzufühlen. Ein Charakter, der etwas komisch ist, aber auch vom Leben gezeichnet und hin und wieder gezielt unfreiwillig komisch wirkt. Zugleich ist er ein harter Junge, immer der Gute und immer offensichtlich auf der richtigen Seite aber zugleich auch verurteilenswert in seinem Handeln.
Dawei, der Sicherheitschef, ist ein Spiegel seiner Umwelt. Arbeit geht dem Leben vor. Sich aufopfern ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. So wie seine Umwelt in der Arbeitersiedlung ist er aber auch selbst gebrochen von Idealen, die leider dabei sind überholt zu werden.
An den Ausschweifenden Worten für Duans Charakter merkt man aber auch schon ein kleines kritikwürdiges Moment. Alle anderen Charaktere gehen neben ihm etwas unter, leider auch die weibliche Hauptrolle Jiang Yiyun. Ihr Charakter vermochte es, die Tiefe von Dawei ans Tageslicht zu bringen, leider hat das Drehbuch versäumt, ihren mehr schillernden Moment zu geben.
Yue Dongs Werk ist ein Stück des Autorenkinos. Visuell ist es sehr ergreifend und nimmt den Zuschauer mit. Für die nahezu monochrome Kinematographie zeichnet sich Cai Tao verantwortlich. Cai Taos Kameraarbeit wurde in den letzten Jahren bereits häufiger gelobt, zum Beispiel bei der Dokumentation über die Trostfrauen im chinesisch-japanischen Krieg „Twenty Two". Der Thriller bedient sich vielen genretypischen Momenten, so findet sich natürlich auch eine gute alte Verfolgungsjagt mit dem potentiellen Mörder. Doch dank Cai Tao und dem Setting im Allgemeinen sieht diese etwas anders aus. Matsch, grau auf grau und ein alles wegspülendes Meer an Regen über den Bahngleisen, lassen sie zu einem intensiven Vergnügen werden. Dazu trägt natürlich auch der dichte Ambient und Industrial Soundtrack des Komponisten Ding Ke bei.
Das bedrückende Gefühl des Regens und die Frage, wer hinter welcher Kapuze vom Regen verwaschen wird, lassen den Zuschauer nicht allzu schnell los. „The Looming Storm" ist ein sehr zu empfehlender chinesischer Kinoerfolg aus dem letzten Jahr. Direkt zu seinem Debüt auf dem 30. Filmfestival in Tokio wurde er mit der besten Hauptrolle und dem Preis für den besten künstlerischen Beitrag geehrt.
Text: Maik Rudolph
Bilder: mtime.com