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Realität unterm Weichzeichner
  2017-07-11 09:48:40  CRI

 

Die Realität ist selten rosarot und perfekt. Aber wenn sie auch noch schmale Augen, ein rundes Gesicht und zwei kleine Pickelchen hat, dann schrillen alle Alarmglocken. Dann herrscht Handlungsbedarf. Dann muss mit allerhöchster Dringlichkeit eine Fotobearbeitungs-App fürs Handy her. Eine, die aus schmal rund und aus rund schmal machen und andere optische Wunder vollbringen kann.

In China boomen die Verschönerungs-Apps. Rund 332 Millionen Chinesen haben laut offizieller Statistik eine Fotobearbeitungs-App auf dem Handy, meist sogar mehrere. Vor allem die Entwicklerfirma Meitu befriedigt mit ihren unzähligen Apps den Hunger nach makelloser Schönheit.

Ein Selfie wird hier nie sofort ins Internet gestellt oder an Freunde verschickt. Es muss erst umfassend bearbeitet werden. Fotos und auch Portraitaufnahmen so zu verändern, dass sie mit dem Original nichts mehr zu tun haben und genauso gut auch komplett computergeneriert sein könnten, ist in China vollkommen akzeptiert und gängige Praxis. Die Apps sind so programmiert, dass die Ergebnisse der Bearbeitung dem chinesischen Schönheitsideal entsprechen: makellose, weiche, weiße Haut, große, runde Augen und ein ovales Gesicht.

Noch bevor das Foto aufgenommen wird, kann z.B. bei Meitu der „Facial beautification level" ausgewählt werden. Level 7 ist besonders schön. Also los! Das Gesicht erscheint teigig und sehr weichgezeichnet auf dem Handybildschirm. 32 Jahre Leben und die Spuren der letzten Nacht verflüchtigen sich im Nebelschleier, der nun auf dem Gesicht liegt. Würde man einem Menschen begegnen, der so aussieht, würde man ihm raten, vielleicht doch mal an die frische Luft zu gehen oder mehr Obst zu essen.

Also vielleicht doch lieber die Funktion „Cutie". Per Regler kann die „Cuteness" verändert werden. Je „cuter", also süßer, desto spitziger das Kinn. Im echten Leben wäre man jetzt ein Fall für den Kieferchirurgen. Die Wangenknochen verschieben sich nach oben, die Augen werden groß.

Das Foto ist aber noch lange nicht fertig. Die Möglichkeiten der App machen dem Nutzer erst bewusst, wie optimierungsbedürftig er ist. Die Nase kleiner und schmaler, das ganze Gesicht ein bisschen länger und schlanker, die Augen geöffneter, die Lippen zentrierter und dann noch einmal alles weichzeichnen. Fertig. Halt! Noch einen virtuellen Hasenohrenreif ins Haar montiert, ein wenig Glitzer drumrum und einen Schmetterling auf die Schulter gesetzt und dann noch einmal der Weichzeichner.

3.400 solcher Optimierungs-Apps gibt es mittlerweile. Wer am besten optimiert, bekommt die meisten „Likes". Und die sind die begehrte Währung der „Digital Natives". So werden Online-Stars geboren. Schön, selbstbewusst und mit ganz vielen Freunden. Auch, wenn die Realität oft geringfügig anders aussieht.

Die Online-Schönheiten setzen Maßstäbe und andere damit unter Druck. Und manch ein Unternehmen hat schon sein blaues Wunder erlebt, wenn es einen sogenannten „Online-Celebrity" für eine reale Veranstaltung buchte und die Dame oder der Herr dann gar nicht so perfekt aussah wie auf den Bildern im Netz.

Ein weiterer Trend in diesem Bereich sind übrigens extra Selfie-Handys. Die sind nicht billig, liefern aber noch schönere Ergebnisse als die Apps. Und da schön nie schön genug ist und Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters liegt, sind sie anscheinend auch eine lohnenswerte Investition.

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