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Wiederentdeckung der chinesischen Übersetzung von De re metallica: Goldgrube der modernen Wissenschaft
  2016-11-23 10:51:55  CRI

Vortragssaal des Institute of Humanities and Social Sciences

Wissenstransfer und akademischer Austausch. Interkulturelle Kommunikation und interzivilisatorischer Kulturdialog. Dies sind Schlagworte, die gegenwärtig im Kontakt mit China in aller Munde sind. Ob im wirtschaftlichen Sinne, im zwischenstaatlichen Unternehmenskontakt, in der Politik oder in der Wissenschaft – Europa und China legen viel Wert auf gegenseitiges Verständnis. Bei aller Aktualität belegt ein aufsehenerregender Fund in aller Deutlichkeit, dass diese Konzepte nicht erst Ausgeburt der modernen Globalisierung sind. Rede ist von der Wiederentdeckung der chinesischen Übersetzung von Georgius Agricolas De re metallica aus dem Jahr 1640. Dieses Hauptwerk des deutschen Renaissance-Gelehrten fasste erstmals systematisch das technologische Wissen des Berg- und Hüttenwesens jener Zeit zusammen. Vor diesem Hintergrund lud das Institute of Humanities and Social Sciences an der Peking-Universität am 21. November 2016 zu einem Vortrag des Tübinger Sinologieprofessors Hans Ulrich Vogel ein.

Professor Vogel ist Spezialist im Bereich der Naturwissenschaften und Technik des traditionellen China, insbesondere der Geschichte von Bergbau und Salzwesen. Bereits vor 25 Jahren beschäftigte er sich intensiv mit den „Untersuchungen des Erdinneren" (Kunyu gezhi 坤輿格致) – so der Titel der chinesischen Übersetzung von Agricolas Klassiker. Er erklärte: „Damals untersuchte ich den Zusammenhang von Bergbau und Geldpolitik. Agricola ist eine Größe in der deutschen Bergbaugeschichte, weshalb ich durch das Studium von Quellen auf die chinesische Übersetzung und diese frühe Verbindung zwischen Deutschland und China aufmerksam wurde. Bereits zu jenem Zeitpunkt habe ich dies daher als wichtigen Beitrag für die Geschichte des ost-westlichen Austauschs betrachtet."

Professor Hans Ulrich Vogel bei seinem Vortrag

Ergebnisse der Quellenforschung ergaben, dass große Teile des ursprünglich lateinischen Manuskriptes vor Mitte des 17. Jahrhunderts durch den Kölner Jesuitenmissionar Johann Adam Schall von Bell ins Chinesische übertragen wurden. Auftraggeber war das Kalenderbüro in Beijing. Die damals von vielen Seiten bedrohte Ming-Dynastie erhoffte sich mit der Übersetzung den Bergbau vorantreiben zu können und auf diesem Weg von innen heraus zu erstarken. Im Jahr 1644 kollabierte die Dynastie jedoch angesichts zahlreicher Rebellionen und der Invasion der Mandschuren. Die „Untersuchungen des Erdinneren" galten seither als verschollen – bis zum Frühjahr 2015, als Professor Vogel durch einen glücklichen Zufall ein chinesischer Zeitungsartikel in die Hände fiel, in dem vom Verbleib einer Übersetzungskopie in der Bibliothek von Nanjing die Rede war.

Sofort richtete der Fachbereich der Tübinger Sinologie ein Forschungsprojekt ein mit dem Ziel, Prozess und Umstände der Übertragung von De re metallica ins Chinesische zu rekonstruieren. Darüber hinaus sollten in Kooperation mit Akademikern anderer Fachrichtungen Fragen in Hinblick auf die damaligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände des interzivilisatorischen Austauschs geklärt werden. In der Diskussion im Anschluss an Professor Vogels Vortrag konnte ein erster Eindruck gewonnen werden, welche Dimensionen durch die Beleuchtung des Themas aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen erreicht werden könnten. Zu Wort kamen etwa Zhu Xiaoyuan, Geschichtsprofessor der Peking-Universität mit Fokus auf europäischer Geschichte, Shi Yunli, Spezialist im Bereich der Astronomie, Professor Huang Liaoyu, Leiter der Germanistik der Peking-Universität, Dr. Alexander Jost, Leiter des European Center for Chinese Studies an der Peking-Universität sowie die Wissenschaftsreferentin der Deutschen Botschaft Julia Kundermann.

Der Funken der Begeisterung, den die unverhoffte Wiederentdeckung der „Untersuchungen des Erdinneren" unter den anwesenden Wissenschaftlern ausgelöst hat, war am Ende des Abends wohl auf alle Zuhörenden übergesprungen. Weshalb die Beschäftigung des aus Laiensicht exotisch wirkenden Themas des Bergbaus der Vergangenheit in unserer modernen Gesellschaft einer Goldgrube des Wissens gleicht und damit höchst bereichernd sein kann, brachte Professor Vogel zuletzt prägnant auf den Punkt: Mit der Eingrenzung des Forschungsansatzes auf den interzivilisatorischen Austausch im Bereich des Bergbaus wird ein klarer Fokus gesetzt. Auf Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse von eigenständigen Entwicklungen und Überschneidungen kann abgeleitet werden, was die frühe Globalisierung ausmachte und wie unsere Gesellschaft zu dem wurde, was sie heute ist.

Text und Bilder: Miriam Nicholls

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