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Kaiping – Die Stadt der seltsamen Türme
  2013-06-07 19:21:23  cri

Illegale Auswanderer

Die Antwort liest sich spannender als so mancher Krimi. Kaiping gehört zu einer handvoll Regionen in Südchina, deren Bewohner ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr Glück zunehmend in der Fremde suchten. Eigentlich stand auf das Verlassen des Kaiserreichs bis 1893 die Todesstrafe. In der Not jedoch nützen Gesetze bekanntlich wenig. Erst recht, wenn der Kaiser fern und schwach zugleich ist.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung in Südchina so stark angewachsen, dass sie kaum mehr ernährt werden konnte. In regelmäßigem Abstand wiederkehrende Naturkatastrophen und lokale Unruhen wie der langjährige Taiping-Aufstand (1851-1864), der mit geschätzten 20 Millionen Toten zu den blutigsten Konflikten der Weltgeschichte gehört, verschärften die ohnehin schon prekäre Situation noch zusätzlich.

In der Hoffnung auf ein besseres Leben, brachen viele Kaipinger zusammen mit Tausenden ihrer Landsleute von den nahegelegenen Hafenstädten Macao und Hongkong nach Übersee auf. Die meisten zog es in die USA, wo seit dem Sensationsfund des Schweizers Johann August Sutter im Jahr 1848 das Goldfieber grassierte, oder nach Kanada und Australien, wo kurz darauf ebenfalls Gold entdeckt wurde. Viele heuerten auch als „Kulis" beim Bau der transnordamerikanischen Eisenbahn an. Andere wiederum verschlug es auf die Plantagen und in die Minen Malaysias, Indonesiens und der Philippinen. Nicht wenige versuchten ihr Glück auch als Geschäftsleute, etwa indem sie ein Restaurant, eine Wäscherei oder einen Lebensmittelladen eröffneten.

Unbeliebter „Chinamann"

„Ein unordentlicher Chinamann ist selten und einen faulen gibt es nicht", schreibt der US-Autor Mark Twain in seinem 1872 veröffentlichten Buch „Roughing It". Obwohl sich die chinesischen Einwanderer rasch einen Ruf als fleißige und äußerst genügsame Arbeiter erwarben, wurden sie in der Neuen Welt bald einmal angefeindet – vor allem seitens der weißen Arbeiterschaft, die in ihnen missliebige Lohndrücker und Streikbrecher sah. Die Folge waren Diskriminierungen und rassistische Übergriffe, die mitunter tödlich endeten. Die soziale Ausgrenzung, die im „Chinese Exclusion Act" des US-Kongress von 1882 ihren negativen Höhepunkt fand, und die Einwanderung von chinesischen Arbeitern in die Staaten gesetzlich verbot, leitete die erste Rückwanderungswelle ein.

Auch viele Kaipinger entschlossen sich zur Rückkehr in ihre Heimat. Der Entscheid dürfte ihnen nicht allzu schwer gefallen sein, warteten doch in vielen Fällen die zurückgelassenen Frauen und Kinder sehnsüchtig auf sie.

Vom Regen in die Traufe

Zuhause hatte sich während ihrer Abwesenheit freilich nicht viel verändert. Noch immer regierte das Chaos. Das Kaiserreich lag in seinen letzten Zügen, und die neue Republik konnte ihre Macht in den ländlichen Regionen nie wirklich entfalten. Die Landbevölkerung war der Willkür von Warlords und herumstreunenden Räuberbanden hilflos ausgeliefert. Besonders letztere stellten ein großes Problem dar. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass die Menschen in Kaiping dank den Überweisungen ihrer Verwandten in Übersee nicht schlecht lebten. Überfälle und Entführungen waren die häufige Folge. Oft mit tödlichem Ausgang. Allein zwischen 1912 und 1930 kamen über 100 Kaipinger bei Raubüberfällen ums Leben. Etliche wurden entführt und erst gegen ein Lösegeld wieder freigelassen. Sogar dem obersten Beamten von Kaiping blieb dieses Schicksal nicht erspart.

In dieser gesetzlosen Zeit besannen sich die innovativen Kaipinger einer Tradition, die sich bereits in der Vergangenheit bewährt hatte: der Bau von „Diaolous" oder „Wachtürmen" auf gut Deutsch. Ein Entscheid, der das Landschaftsbild in kürzester Zeit radikal veränderte und Kaiping zum bisher einzigen Ort in Guangdong machte, der auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht.

Türme als Statussymbole

Erste Schutztürme gab es in Kaiping bereits im 16. Jahrhundert. Sie waren ursprünglich so konzipiert, dass darin im Falle einer Überschwemmung nach einem Monsun, oder wenn Banditen im Anmarsch waren, die Bevölkerung eines ganzen Dorfes untergebracht werden konnte. Für die Rückkehrer, die es im Ausland zu etwas gebracht hatten, waren solche Gemeinschaftsunterkünfte aber nicht mehr funktions- und standesgemäß. Lieber ließen sie sich aufwendig dekorierte private Wohntürme bauen, die ihren hart erarbeiteten neuen Wohlstand zum Ausdruck brachten. Die „Diaolou" waren für die Kaipinger damals ähnliche Statussymbole wie Luxusautos für die gut betuchten Chinesen von heute. Entsprechend wurde nicht nur auf die Funktion der Türme Wert gelegt, sondern auch auf ihre Ästhetik. Inspirieren ließen sich die vermögenden Rückkehrer dabei von den Architekturstilen ihrer Gastländer.

  

Der Inbegriff dieser baulichen Extravaganz und zugleich der höchste Turm in Kaiping ist der „Ruishi Lou" aus dem Jahr 1923. Für seinen Erbauer, Huang Bixiu, der zuerst in Amerika und später in Hongkong erfolgreich als Geschäftsmann tätig war, spielte Geld offenbar keine Rolle. Sein neunstöckiger „Diaolou" mit den vier markanten runden Ecktürmen, die durch einen überhängenden Säulengang miteinander verbunden sind, und dem byzantinisch anmutenden Kuppeldach, könnte genauso gut irgendwo in der Toskana oder anderen Hochburgen der Renaissance stehen. Beim Bau anderer Türme standen Tempel und Moscheen aus Südostasien Pate.

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Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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