Im Jahr 2004 glänzten die chinesischen Wasserspringer. Beim Weltcup zu Jahresbeginn stellten sie trotz schwachen Abschneidens bei der WM 2003 in fünf der insgesamt acht Disziplinen die Sieger. Bei der darauffolgenden Grand Prix Serie in den USA, Kanada und China sowie beim Grand Prix Finale des Internationalen Schwimmverbandes sorgten sie für weitere Erfolge. Der Triumphzug hielt auch in Athen bei der Olympiade an: Die chinesischen Wasserspringer heimsten insgesamt neun olympische Medaillen ein, und zwar sechs goldene, zwei silberne und eine Bronzemedaille. Ganz überlegen belegten sie in Athen den ersten Platz im Medaillenspiegel der Kunst- und Turmspringer, und die sechs im Wasserspringen gewonnenen Goldmedaillen stellten auch einen Rekord dar.
Zum Olympia-Erfolg trugen sowohl erfahrene Springer als auch Nachwuchskräfte bei. Die Wasserspringerin Guo Jingjing, die schon drei Mal an den Sommerolympiaden teilnahm, konnte am 3-Meter-Brett nicht geschlagen werden, sie sicherte sich beide Goldmedaillen, sowohl im Einzel- als auch im Synchronspringen. Und der Nachwuchsspringer Peng Bo zeigte im Finale des Einzelspringens vom 3-Meter-Brett trotz seines Versagens im Synchronspringen seine starke Psyche und sein technisches Talent und wurde schließlich ebenfalls mit olympischem Gold belohnt.
Doch Kenner der Disziplin warnen vor blindem Optimismus. Die glänzenden Ergebnisse bedeuten keinesfalls eine absolute Überlegenheit der Chinesen. In letzter Zeit hätten die Wasserspringerinnen und -springer aus Australien, Kanada, Rußland, Deutschland und den USA gewaltig aufgeholt. Sie könnten nun in fast allen Einzeldisziplinen mit den Chinesen Schritt halten. Als Beispiel nannten die Experten die Disziplin Damen-Einzelspringen vom 10-Meter-Turm. Chantelle Newbery aus Australien, die in Athen den Chinesinnen eine kalte Dusche verabreichte, ist als größte Rivalin anzusehen. Auch die Überlegenheit der Chinesinnen vom 3-Meter-Brett sei mittlerweile ziemlich geschrumpft. Yulia Pakhalina aus Rußland, die zweifache Weltmeisterin und Grand Prix Finalsiegerin, stelle im Einzel- und Synchronspringen eine Bedrohung für die Chinesinnen dar, zumal das chinesische Duo Guo Jingjing / Wu Minxia im Synchronspringen in Athen nur mit einem hauchdünnen Vorsprung siegte.
Auch in den Männer-Disziplinen hakt es zur Zeit. Alexander Dobroskok aus Rußland, Fernando Platas aus Mexiko, Alexandre Despatie aus Kanada und Ken Terauchi aus Japan sind alle in der Lage, im Einzelspringen vom 3-Meter-Brett einen Wettkampf zu gewinnen. Sie sind den chinesischen Springern nicht unterlegen. Auch im Synchronspringen vom 3-Meter-Brett und im Springen vom 10-Meter-Turm stehen die chinesischen Sportler und die aus Rußland, Australien und Deutschland ziemlich auf einer Stufe.
Mit Hilfe chinesischer Trainer, die zwischenzeitlich auch ausländische Teams anleiten und ihnen wertvolle Tipps und Tricks vermittelten, sind die früher vom chinesischen Establishment gern übersehenen ausländischen Wasserspringer schnell zur Weltspitze aufgestiegen. Sie legen inzwischen schwierige Sprünge hin, die früher nur Chinesen beherrschten, und mit manchen Sprüngen sind sie den Chinesen gar überlegen. Im Damen-Einzelspringen vom 10-Meter-Turm wurden in letzter Zeit den Chinesinnen, die von 1984 bis 1996 vier Mal in Folge olympisches Gold gewannen, die Trümpfe aus der Hand genommen. Im Vergleich zu den ausländischen Konkurrentinnen seien die Sprünge der Chinesinnen nicht anspruchsvoll und stabil genug, was zu einer anhaltenden depressiven und pessimistischen Stimmung Chinas in dieser Disziplin führt, heißt es in Fachkreisen.
Doch die Chinesen wollen ganz offenbar den Trumpf wieder in die Hand bekommen. Es wurden in letzter Zeit schwierigere Übungen einstudiert, was allerdings ein zweischneidiges Schwert bedeuten kann, denn je schwieriger die Sprünge sind, um so mehr Risiko beinhalten sie. Bei den Erfolgen Chinas in Athen spielte die Stabilität der Übungen die entscheidendste Rolle. In diesem Sinne ist es notwendig, das Gleichgewicht zwischen Schwierigkeitsgrad und Stabilität bei der Ausführung zu halten.
Der Schlüsselpunkt für Chinas fast 30-jährigen Erfolge im Wasserspringen liegt zweifelsohne in der Nachwuchsausbildung. Auch in diesem Jahr haben chinesische Nachwuchskräfte bei internationalen Veranstaltungen im Wasserspringen weiter Schlagzeilen gemacht: Von keiner Veranstaltung kehrten sie dank beständiger Psyche und technischem Talent mit leeren Händen zurück. Beim Grand Prix in Deutschland beispielsweise schlug der junge Chinese Luo Yutong im Einzelspringen vom 10-Meter-Turm starke Konkurrenten aus Deutschland und England. Auch die junge Kunstspringerin Mo Hanna war beim Grand Prix in Moskau erfolgreich. Beide werden bei den Sommerspielen 2008 in Beijing sicherlich auf sich aufmerksam machen.
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