M: Mit der rasanten Entwicklung der chinesischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren steigt auch der Bedarf an neuem Baugrund. Viele Bauern in zahlreichen chinesischen Provinzen sind deshalb zwangsenteignet worden.
F: Ja. Für die unaufhaltsame Urbanisierung und ehrgeizige Bauprojekte müssen Bauern ihr Ackerland dem Staat überlassen.
M: Genau. Aber eben dadurch ist ein großer Widerspruch entstanden. Denn zwar ist der Boden für die Entwicklung der Wirtschaft notwendig. Man kann die Bauern jedoch nicht ihrer Existenzgrundlage berauben.
F: Ja, das sieht auch die chinesische Regierung so. Deshalb beschäftigen sich alle Regierungsebenen mit der wichtigen Frage, wie man die Bauern sinnvoll entschädigen könnte, damit sie weiter ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
M: Von Zwangsenteignungen ist z. B. auch das Dorf Meishu in der ostchinesischen Provinz Zhejiang betroffen. Es befindet sich in der Nähe des Kreisstädtchens Shaoxing. Mit der Erweiterung der Stadt mussten viele Bauern aus dem Dorf Meishu seit 1992 jährlich Ackerland abgeben.
F: Ja, schon. Aber sind die Betroffenen nicht von der Stadtregierung mit einer Standardzahlung von 80.000 Yuan, also etwas 8.000 Euro pro Hektar entschädigt worden. Das ist doch richtig viel Geld, oder?
M: Da hast du natürlich recht. Aber das Geld reicht auch nicht ewig. Deshalb machen sich die enteigneten Bauern Sorgen, wie es danach weitergehen soll. Auch der 65jährige Qi Chuanbing ist sehr besorgt:
"Wir sind sehr alt und haben nichts anderes gelernt als Feldarbeit. Deshalb ist eine meiner größten Sorgen die fehlende Absicherung nach dem Verkauf der Felder. Ich kann ja nicht wissen, wie alt ich werde."
F: Na ja, ich kann Herrn Qi da sehr gut verstehen. Denn mit den Feldern verlieren die Bauern auch ihre Einkommensquelle. Eine einmalige Entschädigung reicht ja schließlich nicht für eine langjährige Versorgung der Betroffenen. Außerdem sind die Bauern nicht rentenversichert.
M: Ja. Und genau hier liegt das größte Problem, mit dem die Lokalregierung konfrontiert wird. Deshalb hat sich das Amt für Bodenressourcen im Kreis Shaoxing 2001 mit den Problemen, die bei einer Ackerland-Enteignung entstehen, ein ganzes Jahr lang auseinandergesetzt.
F: Und zu welchem Ergebnis ist man gekommen?
M: Dazu hören wir am besten den Leiter der Untersuchungsgruppe, Shi Baofu:
"Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass ein langfristiger und effektiver Mechanismus zur Existenzabsicherung der enteigneten Bauern aufgebaut werden muss. Somit wären die betroffenen Bauern abgesichert und müssten sich keine Sorgen mehr machen."
F: Nach Abschluss der einjährigen Untersuchung hat die Provinzregierung in Zhejiang also beschlossen, ab 2003 in der ganzen Provinz ein System zur Existenzabsicherung der zwangsenteigneten Bauern einzuführen.
M: Stimmt. Dabei funktioniert das System ähnlich wie die Rentenversicherung in den Städten. Genauer gesagt, zahlen die Bauern bis zu einem bestimmten Alter einen Beitrag ein und beziehen danach ein regelmäßiges Altersversorgungsgeld.
F: Das heißt also, dass die Bauern genauso wie die Stadtbewohner jetzt auch von einer Rentenversicherung profitieren können. Seit der Einführung des Systems haben sich nach und nach alle Bewohner des Meishu- Dorfes freiwillig daran beteiligt. Heute beziehen bereits über 400 Bauern ihr Altersversorgungsgeld. Dazu sagte noch einmal der Bauer Qi Chuanbing:
"Alle Einwohner unseres Dorfs sind nun rentenversichert, auch meine Frau und ich. Monatlich erhalten wir somit beide insgesamt 440 Yuan. Nun muss ich mir über unsere Zukunft keine Sorgen mehr machen."
F: Ja. Die Bauern, die bereits in den Genuss der Rentenzahlungen kommen, sind ziemlich zufrieden mit dem neuen System zur Existenzabsicherung. Allerdings ist damit das Problem für alle anderen enteigenen Bauern nicht gelöst worden. Sie werden erst in einigen Jahrzehnten eine Rente erhalten und müssen sich jetzt fragen, von was sie bis dahin leben sollen.
M: Das stimmt leider. Dabei würden viele gerne anderweitig arbeiten. Da den meisten jedoch die Qualifikation fehlt, haben sie kaum Chancen, eine andere passende Arbeit zu finden.
F: Aber auch mit dieser Frage hat sich die lokale Regierung bereits beschäftigt und bietet den enteigneten Bauern eine kostenlose Ausbildung an. Außerdem sind viele Bauern, die eine andere Qualifikation nachweisen können, von der Regierung dazu ermutigt worden, selbst auszubilden.
M: Stimmt. Ein Beispiel dafür ist Fan Raosheng. Auch seine Felder sind von der Regierung zur Nutzung beansprucht worden. Dann hat es sich aber herausgestellt, dass Fan Raosheng und seine Frau sehr gut Kleider zuschneiden können.
F: Ja. Mit der Hilfe und Unterstützung des Amtes für Arbeit und Soziales im Kreis Shaoxing konnte das Ehepaar Fan Raosheng eine eigene Ausbildungsstätte öffnen.
M: Genau. Außerdem erfüllt eine Ausbildung bei dem Ehepaar alle Anforderungen einer sich in der Nähe befindenden Bekleidungsfabrik. Somit können alle enteigneten Bauern nach ihrer Ausbildung bei Fan Raosheng direkt bei der Fabrik anfangen. Für jeden ausgebildeten Bauern bezahlt die Kreisregierung der Familie Fan Raoshengs 200 Yuan.
F: Deshalb ist Fan Raosheng mit seiner neuen Aufgabe sehr zufrieden:
"Im vergangenen Jahr haben alle bei uns ausgebildeten Bauern eine Arbeit finden können. Bisher haben wir insgesamt 117 enteignete Bauern ausgebildet. Dadurch verdiene ich nicht nur Geld, sondern leiste auch einen sozialen Beitrag."
F: Das System zur Existenzabsicherung enteigneter Bauern hat sich nicht nur im Kreis Shaoxing bewährt, sondern auch in anderen Gebieten der Provinz Zhejiang.
M: Ja. Im vergangenen Jahr hat die Provinzregierung in Zhejiang drei Milliarden Yuan dafür bereitgestellt. 3,3 Millionen zwangsenteignete Bauern haben sich an dem neuen System beteiligt. Bisher konnten 100.000 Bauern davon profitieren.
F: Ja, und ich finde immer noch, dass die einmalige finanzielle Entschädigung keine endgültige Lösung für enteignete Bauern sein kann.
M: Da hast du Recht. Und genau deshalb ist die Existenzabsicherung von enteigneten Bauern in Zhejiang, zu der die Rentenversicherung und eine kostenlose Ausbildung zählen, langfristig gesehen eine gute Lösung...
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