Mod. Seit dem Jahr 2000 führt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Dreijahresturnus eine internationale Schulleistungsuntersuchung durch. Das Ziel der als PISA-Studie bekannten und in den meisten OECD-Mitgliedstaaten durchgeführten Untersuchung ist es, die alltags- und berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten der 15-Jährigen zu messen. Die PISA-Studie untersucht die Lesekompetenz, die mathematische Kompetenz sowie das naturwissenschaftliche Grundwissen der 15-jährigen Schüler. Ein Fachbereich wird jeweils vertieft untersucht. Im Jahr 2000 lag der Fokus der PISA-Studie auf der Lesekompetenz. 2003 war die Mathematik an der Reihe. Drei Jahre später die Naturwissenschaften. Dieser Zyklus soll beibehalten und alle neun Jahre wiederholt werden.
Spr. In der neuesten PISA-Studie, die von der OECD Ende 2010 veröffentlicht wurde, schnitten die deutschen Schüler nur mässig ab. Ein neunter Platz bei den Naturwissenschaften war ihr bestes Ergebnis. In der Mathematik schaute Rang zehn heraus. Bei der Lesekompetenz reichte es gar nur zu Rang sechzehn. Entsprechend besorgt äußerten sich viele deutsche Bildungs- und Erziehungsexperten. Friedrich Sparrer, der Rektor der Pauline-Thoma-Schule im bayerischen Kolbermoor, gewinnt dem mässigen Abschneiden aber auch was Positives ab:
„Ja, ich bin da nicht ganz zufrieden. Andererseits muss ich sagen, es ist gut, dass das festgestellt worden ist. Weil wir dann überlegen können, was müssen wir besser machen, wo müssen unsere Schüler mehr geschult werden, was muss von uns, von der Schule aus, gemacht werden, damit wir beim nächsten Mal einen besseren Platz bekommen. Denn wir wollen ja auch wie bei der Olympiade mal auf dem Treppchen stehen."
Die PISA-Studie der OECD wurde im Frühjahr 2009 in 65 Ländern und Gebieten durchgeführt. Fast eine halbe Million 15-jähriger Schüler nahm daran teil. In Deutschland wurden knapp 5.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Schüler aus 226 verschiedenen Schulen getestet.
Im Vergleich zu den früheren PISA-Studien schnitten die deutschen Schüler dieses Mal ein wenig besser ab. Im Schwerpunktbereich, der Lesekompetenz, verbesserten sie sich gegenüber dem Jahr 2000 um 13 auf 497 Punkte. Von den Spitzenplätzen sind die Schüler aus Deutschland aber nach wie vor weit entfernt.
Rektor Sparrer hält die PISA-Studie für ein gutes Instrument, um den eigenen Ausbildungsstand besser einordnen zu können. Seit dem Jahr 2000 wurden vier PISA-Studien durchgeführt. Obwohl Deutschland mit den führenden Nationen noch nicht ganz mithalten kann, hat sich in den verganenen zehn Jahren schon einiges gebessert. Nachholbedarf sieht Bildungsexperte Sparrer vor allem noch in der Mathematik:
„Ich sehe manchmal in unseren Schulen etwas zu wenig Gewicht auf Mathematik. Wir haben zum Beispiel vier Stunden Mathematik in der achten Klasse und haben gleichzeitig vier Stunden Unterricht im EDV-Unterricht. Das ist in keinem richtigen Verhältnis. Also da wird manchmal zu wenig Gewicht auf Mathematik und Naturwissenschaften gelegt. Das wünsche ich mir, dass das wieder mehr gemacht wird. Das ist ein Wunsch an die Politik."
Deutschland mit seinen sechzehn Bundesländern ist ein bildungspolitisches Konglomerat. Alle Bundesländer haben ihre eigenen Lehrpläne. Hinzu kommt das dreigliedrige Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Allein für die Alterstufe von zehn bis achtzehn gibt es in Deutschland rund fünfzig verschiedene Lehrpläne. Rektor Sparrer hält dieses bildungspolitische Konglomerat für nicht ideal. Zugleich warnt er aber auch davor, die PISA-Studie überzubewerten. Für viel wichtiger hält er die Heranbildung von selbständig denkenden und handelnden Jugendlichen:
„Unser Ziel ist in allererster Linie, einen mündigen Bürger heranzubilden. Der Schüler soll dann, wenn er 18 Jahre alt ist, sein Leben selbst bestimmen können, selbst entscheiden können, welchen Beruf er erlernen will. Und er sollte in der Schule die Grundlagen dafür bekommen. Die Entscheidung, welchen Weg er geht, liegt ja bei ihm. Da muss man ihm helfen, dass er sich sowohl in Schrift als auch im gesprochenen Wort gut ausdrücken kann, dass er Mathematik beherrscht, dass er eine gute Allgemeinbildung hat. In den Naturwissenschaften genauso."
An der vierten PISA-Studie nahmen erstmals auch Schüler aus Shanghai teil. Zur großen Überraschung der Bildungsexperten aus Europa belegten die Schüler aus China gleich auf Anhieb in allen drei Teilbereichen der Studie den ersten Platz. Rektor Sparrer von der bayerischen Pauline-Thoma-Schule führt dieses Resultat auch auf intensiveres Lernen zurück:
„Ich gratuliere dazu den Schülern in Shanghai. Das ist eine ausgezeichnete Leistung. Dem möchte ich gerne nacheifern. Ich sehe bei uns, dass speziell im Lesen nicht genügend trainiert wird. Man müsste hier auch mehr Leistungstests einführen. Und zwar nicht nur, kann ein Schüler einen Text richtig, wortgetreu lesen, sondern wie schnell kann er ihn lesen? Was versteht er? Muss er ihn einmal lesen oder muss er ihn dreimal lesen, bis er ihn versteht? Das ist Leseverständnis, das ist Lesekompetenz. Und da glaube ich, dass in Shanghai einfach viel mehr und viel straffer geschult worden ist. Das möchte ich bei mir an der Schule speziell verbessern."
Umgekehrt empfiehlt Rektor Sparrer seinen Kollegen in China, die Kreativität ihrer Schüler vermehrt zu fördern:
„Ich wünsche den Kollegen in China, dass sie vielleicht von uns lernen, auch einen sogenannten Projektunterricht zu machen. Etwas zu tun, etwas Kreatives zu planen, was die Kinder eigentlich gar nicht von der Schule erwarten."
Interview und Text von: Yin Fan