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(GMT+08:00) 2005-06-15 16:01:08    
Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen der abstrakten Kunst und der chinesischen Kalligraphie

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Ich möchte hier noch meine eigene Ansicht über die Gemeinsamkeiten und die Differenzen zwischen der abstrakten Kunst aus dem Westen und der chinesischen Kalligraphie darlegen.

Die Kalligraphie ist eine hochgradig abstrakte Kunst. Diese Abstraktheit äußert sich in den folgenden Punkten: Es werden keine Gegenstände nachgemalt. Aus der Welt der Gegenstände werden vielmehr Qualitäten, Relationen und verschiedene Seiten des Schönen abstrahiert, z.B. Ordnung und Ungleichförmigkeit; Widerspiel und Balance; licht und dicht, fest und leer, still und mobil, veränderlich und harmonisch. Damit werden Zeichen wiedergegeben, bearbeitet und neu modelliert. Diese Abstraktheit hat etwas Gemeinsames mit den gegenstandslosen Gestalten und stummen Erscheinungen abstrakter Malerei, wo allein mit den Mitteln der Formensprache Muster und Figuren jenseits der realen Welt entstehen.

Man sollte jedoch gleichzeitig darauf hinweisen, dass es dennoch wesentliche Unterschiede gibt. Denn die chinesische Kalligraphie ahmt zwar keine Gegenstände im geläufigen Sinn nach, wohl aber sind ihr die chinesischen Zeichen Gegenstand; die Schriftzeichen sind ihr Träger, und der Betrachter soll sie möglichst auch erkennen können. Das sind ihre ursprünglichen Spielregeln und ästhetischen Ziele, die nicht mit jenen der abstrakten Malerei übereinstimmen.

Die Vertreter der abstrakten Kunst ahmen keine materiellen Erscheinungen nach, und sie verwenden auch keine Schriftzeichen als Träger, um die Vielzahl der Linien und Farben zu determinieren. Jeder von ihnen strebt sozusagen ein unabhängiges Modell an, und auch die Werke eines Künstlers sind durch ihre großen Unterschiede untereinander definiert. Den Künstlern geht es um eine gleichzeitig fremd- und eigenartige Komposition der Bildoberfläche, um eine von ihnen neu bestimmte optische Wirkung. Sie legen Wert auf eine zeichenhafte Qualität, ein Geheimnis der Farbe. Sie wollen den Reichtum ihrer Vorstellungskraft und ihren rebellischen Geist gegenüber Formeln und Systemen ebenso wie gegenüber der Tradition zeigen. Ihre Kunst kennt keinen vorbestimmten Träger, keine Regeln, Muster oder Schranken, deshalb müssen sie sich im Schaffensprozess das Hirn zermartern, alles ändern und durchbrechen, um das geheimnisvolle Ding zu finden, das die Welt erstaunt und die Klischees verwirft. Hauptsache, es zieht die Leute an, je erschütternder desto besser. Wenn ihre Vörstellungs- und Schaffenskraft nicht weiter kommt, suchen sie nach Hilfsmitteln, um eine Welt zu erschaffen, wie sie sich noch niemand erträumte.

Die kalligraphische Malerei von Willem de Kooning erinnert stark an die Wilde Grasschrift. Er verwendet keine Tusche, sondern verschiedene Farben, die

er mit sicherer Pinselführung wild auf die Leinwand wirft. Es heißt, dass er die folgenden Prinzipien befolgt: Man muss einen Weg finden, auf dem die Kalligraphie einen Ausbruch des Egos vorführt; das muss durch die Kraft der Bewegung in der Kalligraphie realisiert werden.

Die chinesische Kalligraphie ist etwas Anderes. Ihre Zeichen haben einen Gegenstand (sie sind immer noch chinesische Schriftzeichen). Ihre Zeichen sind Regeln unterworfen (einer bestimmten Form, die sich aus Pinselstrichen innerhalb eines Quadrats organisiert). Sie folgen einer bestimmten Handhabung des Pinsels, einem bestimmten Aufbau jedes Zeichens, einer bestimmten Anordnung, in der sie in einem Atemzug fortlaufend auf das Papier gebracht werden, mit der Ästhetik eines zeitlichen Vorgangs, einer Dynamik. Vor dem Schreiben muss auch der Kalligraph seine Gedanken konzentrieren und in Bewegung bringen, er wird hin und her überlegen, aber gelassen. Er hat ein Konzept, es bereitet ihm Freude und Vergnügen, etwas sehr Gewöhnliches und doch auch Erhabenes hervorzubringen. Seine Werke verraten sehr wohl einen originellen Stil, sie verändern sich in einer Vielzahl von Variationen, sie wogen auf und nieder und mögen durchaus sehr fremdartig wirken. Aber eigentlich wirken sie doch als nach allgemein bekannten Regeln gesetzte und unterscheidbare Zeichen, denen sich der Betrachter als Vertrauter nähert, der sich necken und anregen lässt. Die Zielsetzung des Kalligraphen liegt im Transportieren seiner Situation durch die Form, in der Beförderung von Vernunft durch den Pinsel. Der Theoretiker Sun Guoting aus der Tang-Dynastie hat sich in seinem Shupu auch dazu geäußert: Er spricht von Gefühl und Gestalt, Bewegung und Wort; von Andeutung und Koketterie, oder aber von Kunst und Betragen, von Darstellung und Bedeutung; von Yin und Yang, d.h. von positivem Behagen und von der Tragik der Schattenseite, vom Herzen der Dinge in Himmel und Erde. Damit können wir die oben angesprochene Zielsetzung erläutern: Ein Gefühl im Herzen wird durch die Striche der Schrift zum Vorschein gebracht. Die Formen der Zeichen können verschiedene Momente, ein unterschiedliches Gebaren zeigen. Die Gestaltung und Stilgebung richtet sich sowohl nach dem Wesen und den Gesetzen der objektiven Welt, als auch nach den Grundsätzen einer formalen Ästhetik. Die Kalligraphie drückt im Wesentlichen die gleichen Empfindungen auf dieselbe Weise aus, wie sie vor 3000 Jahren im "Buch der Lieder" und in den "Oden von Chu" vorkamen: Gefühle von der Milde des Friedens und von der Wahrheit des Echten, von vornehmer Bildung und auch von selbstverständlicher Natur, die gleichzeitig literarische Brillanz besitzen. Es geht um eine Widerspiegelung der inneren Wirklichkeit des Kalligraphen und nicht um Gefühle aus dem Unbewussten, Unterbewussten oder von jenseits der Vernunft; ebensowenig geht es um eine aufgesetzt unkonventionelle Führang des Pinsels. Die chinesische Kalligraphie will das Herz berühren und die Seele trösten. Ihr Ziel liegt nicht darin, die Sinne zu erregen oder zu verwirren.

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