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Bei der Handschrift gibt es in den verschiedenen Schriftsystemen auf der Welt im Allgemeinen nur zwei oder drei Arten, z.B. Blockschrift, Druckschrift und Schreibschrift, viel weniger als die ungefähr zehn gebräuchlichen Stile in der chinesischen Kalligraphie. Ich führe im Folgenden nur fünf große Gruppen an. Die ersten drei werden heute im täglichen Leben verwendet, die letzten beiden hingegen wurden nur in alter Zeit häufig benutzt, jetzt gibt es sie nur mehr in der Kalligraphie.
Kaishu (Normschrift, Block- oder Normalschrift) Das ist die seit mehr als tausend Jahren durchgehend verwendete standardisierte Form der Handschrift, der Basis-Stil der heutigen Zeichen. Die Hauptkennzeichen: Feste Strichfolge, strenge Regeln, relativ langsame Geschwindigkeit beim Schreiben. Ihre Figur ist am leichtesten zu erkennen. In der Kalligraphie braucht man sie besonders für formelle Anlässe, z.B. Ladenschilder, Inschriftentafeln für Gebäude, Glückwunschstreifenpaare für das Frühlingsfest, Grabsteine, Denkmäler, die Titel von Druckwerken, sowie offizielle Dokumente.
Xingshu (Fließ- oder Schreibschrift Kursivschrift) Die heutige Xingsha [Hsingschü] ist aus dem schnellen Schreiben der Kaishu entstanden, sie steht zwischen der Normschrift (Kaishu) und der Grasschrift (Caoshu). Sie ist weniger streng geregelt als die Kaishu, ihre Punkte und Striche sind mehr auf einander bezogen und verbunden. Die Form ist oft geneigt oder schräg, die Pinselführung ist einfach, fließend, leichtfüßig, leicht zu verstehen. Man verwendet die Xingshu meistens in Briefen und im täglichen Leben.
Caoshu (Gras-schift, Konzeptschrift) Das ist der schnellste Stil, ihre Form ist noch weiter als die Schreibschrift (Xingshu) von den Basiszeichen der Kaishu entfernt. Die Kaishu-Gestalt ist verformt, die Striche sind miteinander verschlungen, manche Striche oder Teile sind stark abstrahiert und verkürzt. Daher ist die Grasschrift schwer zu schreiben und nicht leicht zu lesen.
Zhuanshu (Siegelschrift) Das ist die älteste Form. Wie auch die unten behandelte Lishu wird sie im täglichen Leben nicht mehr benützt. Die alten Siegelzeichen sind in Schildkrötenpanzer, Rinder- oder Hirschknochen geschnitzte Orakelknocheninschriften, außerdem Inschriften auf Bronzegefäßen, sowie die in der Qin-Dynastie eingeführte sog. Xiao Zhuan, die kleine oder vereinfachte Siegelschrift. In der Siegelschrift gibt es nur sehr wenige Striche, die Punkte, Haken und die hinaufgehenden Striche fehlen. Die Linien sind einheitlich dick. Zwischen den Strichen wird eine größtmögliche Homogenität und Symmetrie angestrebt. Für den heutigen Leser ist die Siegelschrift am schwersten zu lesen, sie hat jedoch gerade dadurch eine gewisse Aura der Kunst, eine Anziehungskraft des Mysteriösen. Der heutige Betrachter kann aus einer Kalligraphie in Siegelschrift die schlichte Seele in der Kunst unserer ältesten Vorfahren erkennen, er wird unwillkürlich über unsere alte Kultur staunen.
Lishu (Kanzleischrift) Das war nach der Zhuanshu die zweite Normschrift. Sie wurde hauptsächlich in der Han-Dynastie verwendet. Die einheitliche Dicke der Linien ist schon aufgegeben, die piktographischen und nach Bildsymbolen geformten Zeichen sind gegenüber der Zhuanshu bereits stark reduziert und teilweise verschwunden, es gibt aber weniger Strichformen als in der Kaishu. Die Lishu hat noch eine Besonderheit: Sie ist flach und gedrungen, ganz verschieden von den eher hohen, langen Zeichen der anderen vier Stile. Lishu- Kalligraphie hat auch ganz deutlich etwas aus uralter Zeit an sich, sie ist aber relativ leicht zu lesen.
Heute werden in den Druckereien und auf dem Computer hauptsächlich Songti-, Fangsongti-, Kaiti- und Heiti- Zeichen verwendet. Songti ist die seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in der Song-Dynastie gebräuchliche Druckvorlage. Ouyang Xun und Ouyang Tong, Vater und Sohn, beide Meister der Kalligraphie aus der Tang-Dynastie, wurden bestimmend für die Entstehung der Songti. In der Ming-Dynastie hat man noch einige wenige Verbesserungen vorgenommen (in der Hauptsache eine Vereinheitlichung der Strichdicke; waagrechte Striche sind dünn, senkrechte dick). Die seit dem 16. Jahrhundert am häufigsten gebrauchte Druckvorlage heißt aber immer noch Songti. Fangsongti ist wie die Songti, nur sind alle Striche dünn. Kaiti ist eine Druckschrift aufgrund der heutigen Normalhandschrift. In den letzten Jahren verwendet man beim Drucken und auf dem Computer neben der einen ursprünglichen Kaiti auch noch andere Arten von Kaiti. Eine davon ist die den Zeichen des berühmten zeitgenössischen Kalligraphen Shu Tong (1906-1998) nachempfundene "Shuti".
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