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Die auffälligsten Gebäude dieser Region sind ohne Zweifel die Wohnhäuser mit ihren Wachtürmen, die überall in den Dörfern und Bergen zu finden sind, die Wachturm-Gebäude. Wie der Name schon verrät, handelt es sich um burgähnliche Gebäude, die in erster Linie dem Schutz der Dörfer und ihrer Bewohner sowie der Abwehr von Räubern dienten. Drohte Gefahr, zogen sich die Menschen zum Schutz in die Wachtürme zurück. Oben verläuft meist ein Wandelgang rund um das Gebäude, der den damaligen Bewohnern als Ausguck und Verteidigungsbasis diente. Wachturm-Gebäude liegen in der Regel am Dorfrand und am Dorfende, an den jeweils höchsten Punkten einer Gegend. Jedes Dorf verfügt über mindestens zwei dieser Gebäude, einige sogar über sieben bis acht. In Wuyi gibt es besonders viele und Kaiping ist der Ort, wo gegenwärtig die meisten Wachturm-Gebäude zu finden sind. Im Jahre 2000 waren statistischen Angaben zufolge dort noch 1400 Wachturm-Gebäude zu finden.
Die Struktur dieser Gebäude reicht weit in die Vergangenheit zurück. Zu Beginn der Qing-Dynastie fanden sich in den Dörfern um Kaiping bereits Vertreter der Wachturm-Gebäude. Anfang des 20. Jahrhunderts verbesserten sich aufgrund des zunehmend aus dem Ausland zurückfließenden Kapitals der Überseechinesen die wirtschaftlichen Bedingungen vieler Familien erheblich. Vor 1929 überstieg dieser Betrag allein im Kreis Taishan alljährlich 10 Millionen US-Dollar, nach 1929 stieg er sogar bis auf 30 Millionen an. Allerdings verschlechterte sich parallel dazu die öffentliche Sicherheit erheblich, die neuen Reichen wurden von Banditen und Dieben als potentielle Geldquelle betrachtet und zunehmend Opfer ihrer Überfälle und Brandschatzungen. Den Leuten blieb nichts anderes übrig als sich zusammenzuschließen und zu ihrem eigenen Schutz Wachturm-Gebäude zu bauen. Die Verteidigungsfunktion der Wachturm-Gebäude hat heutzutage ihre Bedeutung verloren, doch sind sie heute Zeugen der wechselvollen Lokalgeschichte und liefern mit ihrer fremden Ästhetik reiches Anschauungsmaterial für die Untersuchung traditioneller Wohnhäuser vor Ort. Wachturm-Gebäude in Wuyi haben in der Regel drei bis sechs Stockwerke, besonders große Exemplare erreichen sogar sieben bis neun. Der Grundriss ist in der Regel quadratisch und die Hausfront ist in drei Abschnitte untergliedert: Gebäudekörper, Außenanbau und Dach. Der untere Teil des Gebäudes bildet den Gebäudekörper und dient der Verteidigung. Die Mauern sind solide und dick, die Fenster sehr klein und es gibt zahlreiche Schießscharten. Diese Verteidigungsfunktion gibt auch den prägnanten, reduzierten Stil des Gebäudekörpers vor, die dicken Mauern vermitteln ein Gefühl von Schwere und Abgeschlossenheit. Doch da es ja gleichfalls Wohnhaus ist und nicht nur Burg, soll auch das Streben nach Schönheit und Lebenslust vermittelt werden, ausgedrückt beispielsweise durch die feinen Verzierungen über den Fensteröffnungen. Auf das solide Unterteil des Gebäudes schließt sich der verspieltere Teil mit Außenanbau an, wo nach Gefahren Ausschau gehalten wurde und Angriffe von außen abgewehrt werden konnten.
In den Wänden und auf dem Fußboden des Wandelganges befanden sich zahlreiche trapezförmige Löcher, die als Schießscharten dienten. Einige Ecken von Wandelgängen gleichen Röhren oder achteckigen "Schwalbennestern", die meisten jedoch ähneln europäischen Säulenhallen. Neben der militärischen Funktion offenbart der Außenanbau auch die ästhetischen und ökologischen Aspekte des Gebäudes. Vom ästhetischen Standpunkt aus bilden die luftigen Korridore und der geschlossene Unterbau einen gelungenen Kontrast zwischen Fülle und Leere. Die offenen Korridore begünstigen vom ökologischen Standpunkt aus die Ventilation und weisen die Nässe etwas ab, sind somit den Lebensbedingungen der Menschen in diesem feuchten und schwülen Klima gut angepasst. Das Dach eines Wachturm-Gebäudes bildet zugleich dessen prächtigsten Teil, es ist zumeist auf einem quadratischen oder polygonalen Sockel errichtet und weist vielfältige Linienführungen auf.
Vom Baumaterial- und Baustrukturaspekt aus lassen sich Wachturm-Gebäude in die drei Typen Lehm-, Backstein- und Stahlbetonbauten untergliedern. Die beiden ersten sind aus traditionellen chinesischen Baumaterialien hergestellt, letzterer ist ein Produkt westlichen Kultureinflusses. Die meisten Wachturm-Gebäude wurden in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von den Auslandschinesen und deren Familienangehörigen in Anlehnung an Baustile verschiedener Länder mit den damalig fortschrittlichsten Materialien und Bautechnologien erbaut. Sie verkörpern damit das Aufeinanderprallen und die Verschmelzung von Antike und Moderne als auch westlicher und östlicher Kultur. Zwei Aspekte sind dabei besonders beachtenswert: Erstens treffen in dieser Region auf einem relativ kleinen Raum so unterschiedliche Kulturelemente wie traditionell chinesische, altgriechische, römische, europäisch gotische des Mittelalters sowie islamische aufeinander und zweitens werden selbst innerhalb eines einzigen Gebäudes unterschiedliche Baustile verwendet, die ein provozierendes buntes Potpourri bilden.
Eine weitere Gebäudeform dieser Auslandschinesen-Region sind die von sehr wohlhabenden Auslandschinesen erbauen "Lu-Häuser", vergleichbar den heutigen Bungalows oder Villen. Sie haben in der Regel ein bis zwei Stockwerke und stehen an ausgewählten, bevorzugten Plätzen. Fassadenentwurf und -Struktur sind hier freier und ungezwungener, diese Gebäudeform dient rein als Wohngebäude. Konstruktion und Baumaterialen der Fassade weisen zahlreiche Ähnlichkeiten mit den Wachturm-Gebäuden auf, doch da Lu-Häuser niedriger sind, mehr Fenster aufweisen und weit weniger verteidigenden Charakter haben, dominiert hier eindeutig der Wohncharakter. Hinzu kommt, dass bei Lu-Häusern der Außenanbau der Wachturm-Gebäude allmählich einer nach innen gezogenen geräumigen Veranda Platz gemacht hat.
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