|
Unter sämtlichen traditionellen Wohnbauten in China sind Hofhäuser am weitesten verbreitet. Auch sind die verwendeten Materialien und die innere Struktur am fortschrittlichsten. Hofhäuser haben die facettenreichsten Bestandteile als auch Mittel zur Unterscheidung des Status ihrer Bewohner sowie eine vielfältige Innenausstattung und Dekoration. In gewisser Hinsicht ist dies eine der modernsten Wohnformen in einer Agrargesellschaft, auch in einer feudalistischen Gesellschaft mit zunehmend verkümmernder natürlicher Umgebung ist es eine ideale Wohnform. Die komplett umgrenzten Beijinger-Wohnhöfe (Beijing Siheyuan) sind klassische Vertreter dieser Hofhäuser. Wichtigste Charakteristik^ sind ihre Abgeschlossenheit und ein oder mehrere Innenhöfe. Sie sind symmetrisch an einer Mittelachse orientiert und unverkennbar nach ihrer Priorität in Innen- und Außenbereich unterteilt. Hauptsächlich trifft man sie in Nordchina, der Zentralebene, auf der Halbinsel Shandong sowie im Flachland und in den Küstengebieten Südchinas an. Vereinzelt findet man sie auch in Kesseln und Ebenen im Südwesten, in Chengdu in der Provinz Sichuan, in Kunming oder Dali in der Provinz Yunnan sowie in den Ebenen auf Taiwan. Wo die Han-Chinesen oder andere, eng mit der Han-Kultur verbundene ethnische Minderheiten wie die Bai oder Naxi leben, in entwickelten Gebieten mit Völkern wie den Zhuang oder auch dort, wo andere Nationalitäten wie die Man oder Hui gemeinsam mit den Han leben, überall dort findet man in der Regel Hofhäuser vor. Beijing entwickelt sich gerade zu einer internationalen Metropole, hat jedoch gleichzeitig gesetzlich festgelegt, 25 Gebiete mit seinen alten Gassen, den Hutongs, und alten Wohnhöfen in der Nähe der Verbotenen Stadt unter Denkmalschutz zu stellen. Von der Residenz des Prinzen Gong bis zu ganz gewöhnlichen Wohnhöfen sind hier noch die am vollständigsten erhaltenen Formen anzutreffen. Allein die Eingangstore mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen bilden ein authentisches Wohnhof-Museum (vgl. dazu auch Kapitel 6). Beim Wechsel der Ming-(1368-1644) zur Qing-Dynastie (1644-1911) errichteten Kaufleute in den Provinzen Shanxi und Anhui chinaweit die meisten privaten Wohngehöfte. Besonders sei hier der große Wohnhofkomplex der Familie Wang im Kreis Lingshi in Shanxi, der als "Erstes Haus der Provinz Shanxi" bekannt ist, erwähnt, der mit seinen über 100 großen und kleinen Höfen den ebenfalls sehr berühmten Qiao-Wohnhof in seiner Dimension noch bei weitem übertrifft. Wohnhöfe sind in den Ebenen Nordchinas am weitesten verbreitet und obgleich es beim Umfang, Innenausbau, bei der Struktur und Dekoration zahlreiche Unterschiede gibt, sind doch die grundlegenden Charakteristika ihrer Struktur gleich. Als Beispiele seien genannt die berühmte Konfuzius-Residenz in der Provinz Shandong, die Residenz Zheng Banqiaos in Weifang oder die zahlreichen Wohnhöfe der Geldverleiher in Pingyao in der Provinz Shanxi. Und obwohl zahllose Gehöfte in den Landgemeinden nicht die komplette Struktur der typischen Beijinger-Wohnhöfe aufweisen, sondern nur vereinfacht zwei oder drei Gehöfte, die um den Hof gruppiert sind anstelle der klassischen kompletten Umgrenzung, haben sie doch ausnahmslos eine umschlossene Struktur mit großem Tor, Umgrenzungsmauern, einem Hof und Haupt- und Nebengebäude, so beispielsweise die nach Süden gerichteten Manchu-Bauerngehöfte in den Provinzen Liaoning und Jilin oder die Erdwallhäuser (Tuweizi) in Shanxi und Shaanxi. Hofhäuser haben noch viele weitere Varianten: so die sich aus den Höhlenlehmbauten entwickelten Stempelhäuser (Yikeyin) in Kunming in der Provinz Yunnan oder die sich aus einer Verschmelzung von Ganlan-Holzhäusern (Alte chinesische Bauweise mit Holz, oder Bambus, hauptsächlich im Süden Chinas anzutreffen) (vgl. dazu Kapitel 2) und Hofhäusern entwickelten Gehöfte mit kleinen, hohen Innenhöfen in Huizhou in der Provinz Anhui (vgl. dazu Kapitel 1). Auch die Erd-Rundbauten der Hakka in Yongding in der Provinz Fujian (vgl. dazu Kapitel 8), die unter ganz bestimmten historischen und geografischen Bedingungen hauptsächlich zur Abwehr errichtet wurden oder die von den Immigranten aus Fujian oder Guangzhou gebauten Gehöfte (Dacuo) in Taibei auf Taiwan mit ihren roten Ziegelmauern, schrägen Hausdächern und ihrer bogenförmigen Feuerwand sind eine Abwandlung der Hofhäuser.
Erstmals tauchte die Struktur von Hofhäusern beim Übergang der Qin- (221 - 207 v. Chr.) zur Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) auf. Bilder und Backsteine aus der Östlichen Han-Zeit (25 - 220) liefern uns dafür gutes Anschauungsmaterial. Backsteine aus der Qin- und Ziegeln aus der Han-Dynastie als technische Unterstützung, die ausgereifte feudalistische Familienstruktur auf dem Land als auch die Verbreitung eines Hierarchiesystems nach konfuzianischem Muster lieferten für die Verbreitung dieser Wohnkultur die Bedingungen. Sie entfaltete während der langwährenden Agrargesellschaft lebhafte Vitalität. Der große Staatsgelehrte Wang Guowei hat einstmals die Besonderheiten komplett umgrenzter Wohnhöfe nach Beijinger Muster präzise zusammengefasst: "Die Wohnräume der gesamten Familie sollen nah beieinander liegen, damit sie friedlich zusammen leben und sich gegenseitig helfen können. Sind die Gebäude gut miteinander verbunden, ist der komplett umgrenzte Wohnhof die ideale Wohnform." Der herausragende Literat Lin Yutang legte vom gesellschafts-psychologischen Standpunkt aus dar, warum Hofgebäude bei den Chinesen so beliebt sind: Die Dächer chinesischer Häuser decken einfach den Boden ab und ragen nicht wie gotische Gebäude turmhoch in den Himmel hinauf. Die größte Stärke dieses Konzeptes ist die Ausgeglichenheit, die Bereitstellung eines Beurteilungskriteriums für irdisches Glück und irdische Harmonie. Ein chinesisches Dach suggeriert, dass man das Glück primär zu Hause findet.
vorige Seite nächste Seite
|