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Manche vergleichen die Wesensmerkmale der Menschen im Westen mit den Eigenschaften des Schnapses: offen und feurig, während sie den Charakter der Menschen im Osten mit jenen des Tees gleichsetzen: ruhig, vernünftig und mild. Betont man im Westen den Kampf des Individuums, so stellt der Osten die Eintracht und das Miteinander in den Vordergrund. In der chinesischen Teekultur sind diese Merkmale stark ausgeprägt: Harmonie zwischen Menschen, aber auch zwischen Mensch und Natur. Der Konfuzianismus führte diese Denkweise in die Teezeremonie ein: Durch das Teetrinken soll eine harmonische Atmosphäre geschaffen werden. Tee ist zwar nur ein übliches Getränk, dennoch soll der gemeinsame Teegenuss die Verständigung fördern. In diesem Sinne empfingen früher die Kaiser mit Tee ausländische Gesandte, und bis heute ist das Servieren von Tee ein Sinnbild für Freundschaft. Zum Jahresende veranstalten Behörden und Firmen Teeparties, auf denen sich Vorgesetzte und Mitarbeiter nach einem Jahr harter Arbeit bei
einer Tasse Tee offen aussprechen, Dank und Anerkennung austauschen und Verständnis für die jeweiligen Probleme zeigen. Eine ruhige und behagliche Atmosphäre hilft oft, anscheinend unversöhnliche Widersprüche zu überbrücken.
Der Konfuzianismus befürwortet die Goldene Mitte, die Vermeidung von Einseitigkeit und Extremismas. In der Teekultur kommt dies besonders zum Ausdruck. Eigentlich sind Wasser und Feuer Gegensätze, Lu Yu jedoch betonte ihre "Einheit". Wie kann man ohne Feuer Wasser kochen? Um die Dreieinigkeit von Wind, Feuer und Wasser zu versinnbildlichen, verzierte Lu Yu den von ihm entwickelten Teeofen mit einem Windtier, einem Feuervogel und einem Fisch. Er bezog sich dabei auf das Buch der Wandlung (I Ging), das die Beziehungen zwischen Wind, Feuer und Wasser behandelt. Durch Wind kann Feuer auflodern, Dadurch können Speisen und Getränke gekocht werden.
"Eine Welt der großen Harmonie" und "Eintracht der Länder" war und ist die ideale Welt der Chinesen. Nach der alten Naturanschauung der Chinesen bestand die Natur aus Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde, die "Fünf Elemente" genannt. Lu Yu befürwortete deshalb die Teekultur, weil er die Meinung vertrat: Durch menschliche Harmonie kann der Staat die Einheit erreichen, und durch die Harmonie der Fünf Elemente können Krankheiten beseitigt werden.
Beflügelt durch solche Ideen, verkörperte die Teekunst in jedem Detail den Geist der Einheit und der Harmonie. Das Bild Bai Zi Tu (Hundert Kinder), gemalt von Su Hanchen in der Song-Dynastie, stellt hundert teetrinkende und spielende Kinder dar. Dieses Bild sollte ein Symbol für die große Völkerfamilie Chinas sein, die trotz der Vielzahl der Nationalitäten in Eintracht lebt. Andere versuchten, diese Idee der Harmonie durch das Überreichen von Tee zu veranschaulichen. Im Volk bezeichnete man die Teekanne als "Teemutter", die Tassen als "Teekinder". Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das Mutterland für seine Kinder sorgt. Chen Mingyuan aus der Qing-Dynastie fertigte eine von drei Baumwurzeln umschlungene Teekanne an: drei Wurzeln bildeten einen Kannenkörper mit einem gemeinsamen Deckel, ein Symbol für die Stärke durch Einheit.
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