Rauschend schwingt Yang Zhenyi ihre Peitsche mit sechs Münzen darauf zu rhythmischer Musik durch die Luft. Klapperschlangen-Tanz nennen die Einheimischen ihre alltägliche Freizeitbeschäftigung in der Ortschaft Dali, Provinz Yunnan, in Südwestchina.
„Unser täglicher Tanz auf dem Platz ist viel einfacher als der unserer Vorfahren", erklärt Yang. „Man denkt an Reichtum und Freude, wenn man den Klang der Münzen hört." So erhielt der Tanz seinen Namen.
„Ich habe mir den kompletten Tanz im Dorf meiner Großeltern angeschaut. Und ich liebe es." Die 36-Jährige selbst ist in der Stadt aufgewachsen. Die Tradition ihrer Großeltern lebt in ihr fort.
Wie in Yunnan tanzen auch Angehörige der kasachischen Minderheit im nordwestchinesischen Xinjiang, um den Alltag ihrer Vorfahren wieder lebendig zu machen: auf öffentlichen Plätzen, bei fröhlichen Anlässen und als Morgensport in der Schule. Der Karajurha-Tanz erzählt die Geschichte, wie Männer vor Jahrhunderten auf Pferden ritten oder rangen, während Frauen nähten und Kinder spielten.
„Als der Stamm noch auf dem Grasland lebte, tanzte man auf dem Pferderücken. Der Tanz hat deshalb denselben Rhythmus wie beim Galopp", erklärt Ersen Heyzat, Leiter einer kasachischen Amateurtanzgruppe in der Präfektur Altay des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang. „Der Tanz ist so einfach, dass ihn jeder lernen kann. Er muss nur mit den Schultern zucken können, denn die meisten Bewegungen laufen im Oberkörper ab", berichtet der Amateurtänzer und fügt noch hinzu, dass Platz-Tanz für alle da sei.
Derartige Tänze sind in China weit verbreitet, jeder kann daran teilnehmen. Auf großen oder kleinen Plätzen, in öffentlichen Parkanlagen, in der Morgen- und Abenddämmerung. Aber Gruppentanz ist nicht immer willkommen.
Wie die Nachrichtenagentur CNS berichtete, mischte sich unlängst die New Yorker Polizei ein, als eine Gruppe chinesischer Einwanderer in der Öffentlichkeit tanzte. Die Nachbarn hatte ihre Begleitmusik gestört. Laut der Tageszeitung Beijing Youth Daily hat ein Bewohner der östlichen Provinz Shandong gar seinen Hund auf Tänzer vor seiner Wohnung losgelassen.
Gruppentänze mit langer kultureller Tradition wie der Klapperschlangen-Tanz oder der Karajurha sollten Respekt und Wertschätzung erfahren, betonen Kulturforscher. „Es geht dabei um den kollektiven Glauben und um kulturelle Überlieferungen. Jüngere Mitglieder eines Stammes oder einer Sippe lernten durch den Tanz gute Manieren und angebrachtes Benehmen", so Professor Ming Wenjun von der Beijing Dance Academy. „Mit der Urbanisierung verliert der Gruppentanz allmählich seine ursprüngliche Funktion. Aber er bleibt immer noch Teil unserer Kultur." Für Professor Ming Wenjun gibt traditioneller Gruppentanz auch Antworten auf Fragen nach der kulturellen Identität.