„Zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung studierte ich in Deutschland. Einen Tag nach dem Mauerfall begab ich mich mit einer Kamera nach Ostberlin. Später habe ich einen Aufsatz darüber geschrieben, was ich damals gesehen und gehört habe. Darin habe ich die Szenerie nach der Öffnung der Grenze so geschildert: es sieht so aus, als ob der Fluss nach Westen strömt. Auf der Friedrichstraße, die nach Westberlin führt, gab es eine unübersehbare Menschenmenge. Auf einmal war ich im Menschenstrom wie gefangen und konnte mich kaum noch bewegen. Als ich nach Hause wollte, merkte ich, dass ich meine gewünschte Busstation wohl nicht erreichen würde. Ich konnte nur noch in dem Menschenstrom mitschwimmen und dann irgendwo in einen Bus einsteigen, auch wenn der in die falsche Richtung fuhr. Ich war völlig verwirrt und hatte irgendwie die Orientierung verloren. So pendelte ich mit dem Bus zwischen Ost- und Westberlin. Erst gegen 20 Uhr war ich wieder zu Hause."
Heute ist Lian Yuru als Dozentin der Fakultät für internationale Politik des Instituts für internationale Beziehungen an der Peking-Universität tätig. Im Oktober 2005 wurde sie mit dem ersten „Deutsch-Chinesischen Freundschaftspreis", einem deutschen staatlichen Preis, ausgezeichnet. Sie hat einmal gesagt, dass sie in ihrem Leben zwei Sachen gemacht hat: auf Chinesisch die Chinesen über Deutschland informieren und auf Deutsch die Deutschen über China informieren.
„Als Dozentin des Instituts für internationale Beziehungen der Peking-Universität besteht meine Aufgabe in der Lehrtätigkeit darin, die Studenten über Deutschland und die internationalen Beziehungen zu informieren, damit sie Europa besser verstehen können.
Auf der anderen Seite bin ich auf chinesischem Boden geboren, verwurzelt und aufgewachsen. Zwar gehört China nicht zu meiner Forschungsrichtung. Aber während meiner Studien oder Besuche im Ausland wurden selbstverständlich Fragen über China an mich gestellt. Auch wurde ich zu Vorträgen über China oder die chinesisch-deutschen Beziehungen eingeladen. Wie ich eben gesagt habe, mangelt es beiden Ländern an gegenseitigem Verständnis. Die China-Kenntnisse mancher Deutschen sind noch auf dem Stand der 1980er. Und ich hoffe, dass ich auch weiter dazu beitragen kann, das gegenseitige Verständnis zwischen China und Deutschland zu fördern."
Dieses Jahr wird der 40. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland gefeiert. Als Expertin für die chinesisch-deutschen Beziehungen beurteilte Lian Yuru die vergangenen 40 Jahre folgendermaßen:
„Beide Länder haben viele gemeinsame Grundinteressen, wie zum Beispiel die nachhaltige Entwicklung. Ich habe früher in einem Artikel von der „Natürlichen Partnerschaftsbeziehung zwischen China und Deutschland" gesprochen. Alles in allem, im neuen Jahrhundert verfügen die chinesisch-deutschen Beziehungen über ein enormes Entwicklungspotential und große Perspektiven. Eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit dient auch der Stabilität und der ausgewogenen Entwicklung der Weltlage."
Konzept: Huang Gang, Lu Ming
Interview und Protokoll: Lu Ming
Übersetzung/Überarbeitung: Yan Wei, Hartmut Lüning
Foto: privat