Der Ablaufplan des heutigen Tages ist prall gefüllt, wie uns bereits beim Frühstück klar wird: Uns erwarten Recherchen an insgesamt sieben Zielorten. Den Anfang macht eine Manufaktur für buddhistische Plastiken, die sich im Dorf Baina, etwa eine Stunde von Lhasa entfernt befindet. Noch bevor wir den Innenhof des Gebäudes betreten, schlägt uns der Widerhall Dutzender Hämmer entgegen.
Insgesamt 24 Schüler arbeiten hier unter der Aufsicht von zwei Meistern an religiösen Statuen, deren Ausgangsmaterial nichts als flache Kupferplatten sind. Die Techniken dieses Kunsthandwerkes werden seit Jahrhunderten von Generation zu Generation überliefert. Prinzipiell kommen die Künstler mit einem Minimum an Werkzeugen aus: Hölzerne Klöppel, Hämmer sowie ein rund auslaufender Metallbock genügen, um jede erdenkliche Form aus dem Kupfer herauszuarbeiten. Für die sich häufig wiederholenden Ornamente stehen zudem Schablonen zur Verfügung. Die Werkstatt arbeitet auf Bestellung und ist über Jahre hinweg ausgebucht – dies ist auch nicht verwunderlich, da die rein handwerkliche Herstellung der meisten Plastiken und Statuen bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen kann. Die Kunden sitzen nicht nur in Tibet, sondern auch in den Provinzen Gansu, Sichuan und Guangzhou. Selbst nach Nepal hat das Unternehmen bereits geliefert. Nach einem Besuch in einem kostenlosen Altersheim für bedürftige Menschen der Gemeinde Dazi steht die Besichtigung einer Fabrik für Gerstenschnaps und –wein auf dem Programm. Die Firma Zangyuan ist mit über 70 Prozent Marktanteil führend und stellt Unmengen an Gerstenwein her. Dieses Getränk wird, wie der Name schon sagt, vor allem aus Gerste hergestellt. Hierfür wird zuerst eine Maische angesetzt und mit Hefe vermengt, bevor in mehreren Schritten Wasser zugeführt wird. Schließlich, nach etwa 64 Stunden, wird das Gemenge ausgepresst, und fertig ist der Gerstenwein. Geschmacklich erinnert er übrigens an eine Mischung aus Sekt und süßem Reiswein. Wie uns eine Begleiterin erklärt, wird der tibetische Gerstenwein traditionellerweise im eigenen Haus hergestellt. Die einzelnen Schritte sind dabei die gleichen wie jene, die wir in der Fabrikhalle Zangyuans beobachten können. Der einzige Unterschied besteht in der Haltbarkeit: Während das hausgemachte Gebräu innerhalb von maximal sieben Tagen getrunken werden muss, hält sich die in Dosen konservierte industrielle Version bis zu 13 Monate. Es folgen zwei Interviews im Tourismusbüro des Autonomen Gebietes und einer Brauerei für Gerstenbier, bevor wir schließlich zu den Höhepunkten des Tages kommen: Das Kloster Sera und der Tempel Jokhang. Beide Anlagen spielen für den tibetischen Buddhismus eine enorme Rolle. Im Kloster Sera, welches 1419 gegründet wurde, lassen sich nicht nur eindrucksvolle Ornamente bewundern, sondern auch eine weit über dem eigentlichen Kloster gelegene Klause. Hierher zogen sich die Mönche und Lamas zurück, um durch teils jahrelange Meditationen nach spiritueller Vervollkommnung zu streben. Zudem werden wir in einem kleinen, mit Bäumen bewachsenen Hof Zeugen der berühmten buddhistischen Lehrdebatten, des Bianjing. Hierbei führen zwei Mönche eine Diskussion über die Auslegung eines Aspektes der buddhistischen Lehre, wobei den Handbewegungen eine besondere Bedeutung zukommt: Schlägt der debattierende Mönch etwa mit der rechten in seine linke Hand, so unterstreicht er damit die Wichtigkeit seines Arguments oder seiner Schlussfolgerung. Als letztes und einprägsamstes Ziel des Tages erwartet uns ein Besuch im Tempel Jokhang.
Dieser befindet sich inmitten der Altstadt Lhasas und stellt das bedeutendste Heiligtum der Stadt dar. Das Gebäude erscheint bereits auf den ersten Blick als prächtig und besonders umfangreich geschmückt. Die Dächer glänzen in goldener Farbe und sind mit zahlreichen Ornamenten und Figuren geschmückt. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt das innerste Heiligtum des Tempels, in welchem sich die Strahlen der Sonne im Rauch der Yakbutterlampen brechen. Die Schönheit dieses Ortes hat allerdings auch einen enormen Besucheransturm zur Folge, so dass wir uns eher schiebend als laufend durch den Tempel bewegen. Doch kann man sich schlussendlich damit trösten, dass die touristischen Einnahmen dem Erhalt dieser so zentralen Anlage zukommen werden.