Am frühen Morgen verlassen wir Shigatse in Richtung Gyantse. Doch bevor wir unser Ziel erreichen, legen wir einen Zwischenstopp in Bailang ein. Hier haben sich mehrere Bauern zusammengetan, um in großem Umfang Gewächshäuser anzulegen. Durch die günstigen Bedingungen innerhalb dieser Gebäude können die Bauern eine größere Auswahl an Gemüse anpflanzen und zugleich auf Dünger sowie Pestizide verzichten. Im Vergleich zur sehr trockenen Luft des tibetischen Hochlands herrscht in den Treibhäusern eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit, unsere Kameralinsen beschlagen noch vor dem ersten Schnappschuss nahezu vollständig. Nach einigen Minuten verlassen wir Bailang und begeben uns zurück in unsere Geländewagen, um die restlichen Streckenkilometer bis Gyantse zurückzulegen. Schon während der Ankunft fällt auf, dass Gyantse über eine Vielzahl historischer Bauten verfügt. Rund um die Festung Dzong und das Kloster Palkhor Chode sind ganze Straßenzüge ausschließlich traditioneller Wohnhäuser erhalten. Kaum angekommen, begeben wir uns zum Kloster Palkhor Chode. Dieses im Jahre 1418 vom lokalen König Rapten Kunzang gegründete Kloster zeichnet sich durch gleich zwei Besonderheiten aus, wie uns ein Mönch erklärt: Zum einen handelt es sich um das einzige Kloster Tibets, in dem drei Schulen des tibetischen Buddhismus gemeinsam vertreten sind, namentlich jene der Gelbmützen, der Rotmützen sowie der Sakya. Zum anderen vereint das Kloster architektonische Elemente aus Indien, Nepal und Tibet. Palkhor Chode beherbergt eine ganze Reihe wunderschöner Statuen aus gebranntem Ton sowie Wandmalereien aus verschiedenen Epochen. Neben dem eigentlichen Kloster befindet sich der weitaus ältere und berühmtere Palkhor Chode Kumbum, die „Pagode der Tausend Buddhas". Auf insgesamt fünf Stockwerken versammeln sich hier mehr als 100.000 Darstellungen Buddhas in 77 Räumen. Wer die schmalen Holztreppen bis zum fünften Stockwerk hinter sich bringt, wird meinem Ausblick über die historische Altstadt sowie die Umgebung Gyantses belohnt.
Da inzwischen leichter Regen einsetzt, beeilen wir uns, auch noch die nächsten zwei Programmpunkte abarbeiten zu können. Zunächst besuchen wir eine lokale Teppichfabrik, in welcher tibetische Teppiche in reiner Handarbeit hergestellt werden. Dies bedeutet einen nicht geringen Zeitaufwand: In einem Monat knüpfen zwei Arbeiter acht kleinformatige Teppichvorleger, die allerdings für stolze 1.000 Yuan RMB pro Stück verkauft werden können. Unser letztes Ziel für heute ist die einstige Wohnstatt des Klans der Pala, einst eine große aristokratische Familie mit weitreichendem politischen Einfluss. Das dreistöckige Gebäude zählt zu den am besten erhaltenen aristokratischen Besitztümer in Tibet und bietet einen Einblick in die Lebenswelt der Adeligen. Gegenüber des eigentlichen Komplexes befinden sich die Unterkünfte der Leibeigenen, die den Palas bis zum Jahre 1959 dienten. In den winzigen, rußgeschwärzten Räumen hausten bis zu diesem Zeitpunkt Familien von bis zu acht Personen auf engstem Raum. Mit diesem etwas düsteren Eindruck beenden wir unser heutiges Programm. Morgen treten wir unsere Rückreise nach Lhasa an, allerdings nicht, ohne die Gunst der Stunde zu nutzen und den am Wegesrand befindlichen Yamdroktso-See zu besuchen.