Nach einer knapp achtstündigen Reise und einem Zwischenstopp in Chengdu beginnt auf dem Flughafen Lhasa Gonggar unser Aufenthalt in Tibet. Gerade die letzten Momente des Landeanflugs sind äußerst eindrucksvoll – immer wieder reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf unendliche Reihen von schneebdeckten Bergketten frei, deren steile Abhänge teils von nacktem Fels, teils von sattem Grün gekennzeichnet sind. Lhasa aber sucht der Flugreisende vergebens: Denn obwohl der Flughafen den Namen Lhasa Gonggar trägt, befindet er sich keineswegs in der näheren Umgebung der Hauptstadt des Autononem Gebietes. Im Gegenteil, mit einer Entfernung von 95 Kilometern ist der Flughafen Gonggar sogar der am weitesten von seiner namensgebenden Stadt gelegene Flughafen der Welt. Die Aussicht während der rasanten Busfahrt ist jedoch eine mehr als angemessene Entschädigung. Entlang des Kyi Chu, einem Nebenfluss des Yarlung Tsangpo, der wenig später den berühmteren Namen Brahmaputra annehmen wird, ragen Berge verschiedenster Farben in den Himmel hinauf. Die dünne Höhenluft verstärkt dabei noch die Strahlkraft der roten, gelben und grauen Gesteinsformationen. Allerdings stellt sich schon sehr bald eine weitere, weitaus weniger angenehme Wirkung der Höhenluft ein: Leichte Schwindelanfälle und zunehmende Kopfschmerzen plagen einen nicht geringen Teil der Gruppe. Zudem brennt die Sonne in 3650 Metern Höhe mit ungeahnter Intensität vom Himmel herab. Als wir schließlich unsere Unterkunft unweit des Sera-Tempels erreichen, können wir von unseren Zimmern immerhin noch einen kurzen Blick auf den Potala-Palast erhaschen, der über dem gesamten Stadtgebiet thront. Doch schon kurz darauf schlägt das Wetter um, und die brennenden Sonnenstrahlen weichen einem grauen Nieselregen – ein nicht unwillkommener Anlass für eine Ruhepause. Und so ziehen wir uns mit ersten Eindrücken und der Hoffnung auf Besserung mit bedächtigen Schritten auf unsere Zimmer zurück.
Lucas Göpfert