Die morgendliche erste Station unserer Stadterkundung, die ineinandergeflochtene Stahlstruktur des Vogelnests, nahm das abendlich zu ziehende Fazit bereits symbolhaft voraus: an diesem Ort verwebt sich wie in ganz Beijing die alte und tiefe Kultur Chinas mit der Internationaliät einer Weltstadt.
Westlich der alten Zentralachse von Peking der Water Cube, östlich das Vogelnest, bilden die zwei architektonischen Edelsteine des Olympiaquartiers ganz wie Yin und Yang ein Spannungsfeld, dem zugleich Harmonie auswächst.
Das Vogelnest, das selbst schon voller künstlerischer Harmonie eine große Faszination gleichermaßen auf Ausländer wie Chinesen ausübt, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen chinesischen Künstlern und europäischen Architekten. Aus diesem Zusammengehen von China und dem Westen entsteht etwas Neues, das es ohne das jeweils andere nicht gäbe.
Viel mehr als in Deutschland erfasst Chinas Kultur auch das Essen. In einer chinesisch-muslimischen Schauküche konnten wir bestaunen, auf wie viel mannigfaltige Weise sich Lammfleisch auf einem Holzbrett über einer runden Feuerstelle zubereiten lässt. Später dann konnten wir bestätigen: die Peking-Ente gibt es wirklich – und sie ist anders als wir es uns in Deutschland vorstellen, ganz anders und mit viel Stil.
Auf dem 13. Pekinger Tourismusfest, dem wir anschließend beiwohnen durften, zogen farbenfrohe Musik- und Tanzgruppen aus der ganzen Welt mit ihren chinesischen Kollegen durch die Straße südlich vom Qianmen-Tor. Die Akteure und die Pekinger am Straßenrand winkten einander unaufhörlich zu – eine sonnige Gemeinschaft unter einem sonnigen Septemberhimmel. Die ausländischen Gäste wurden übermäßig offen und herzlich empfangen – darin offenbart sich für mich das neue Selbstbewusstsein der Pekinger und der Chinesen insgesamt.
In direktem örtlichem Zusammenhang mit der Residenz des Prinzen Gong, in dessen Palast- und Parkanlagen sich die alte Kultur Chinas für uns nahezu mit allen Sinnen greifen ließ, stand unsere „Reise" durch einen typischen Pekinger Hutong. Wie ruhig und wohltuend Peking plötzlich wirkt in diesen kleinen renovierten Gassen. Hinter den roten Toren öffnen sich die grünen vierseitigen Höfe mit Wein an den Hauswänden und Vogelgezwitscher – ein unerwarteter Kontrast zu der lebendigen und treibenden Atmosphäre des modernen, internationalen Beijing. Eine Familie und ihren Innenhof durften wir besuchen – die Hausherrin brachte uns nahe, wie viel Kultur und Tradition allein schon aus der Ordnung und Architektur der Hofhäuser spricht. Ein anderer Aspekt des Hutongs ist dessen Wiederbelebung durch die vielen ausländischen Touristen. Manch verloren geglaubtes Gebäude kann durch Ausstellungen, Bars und charaktervolle kleine Läden nun erhalten werden.
Die Flötenmusik, die uns auf der abschließenden nächtlichen Bootsfahrt auf dem Wasser zwischen den Hutongs und seinen tausenden Lichtern begleitete, ließ uns zugleich vom alten Peking träumen wie von dem gemeinsamen neuen Tag.
Michael Schuwenkowski