Tigermutter vs. Wolfsvater? Vaterrolle im modernen China
|
Väter in China, was bedeutet das eigentlich? Früher hatten sie die Machtposition in der Familie inne. Gegenüber dem Vater war bedingungsloser Gehorsam gefordert. Die Kindespflicht war eine der wichtigsten Grundlagen des Konfuzianismus. Heute haben Kinder viel mehr Freiheiten. Die traditionelle Vaterrolle hat sich verändert. Wie ist es bestellt um Chinas Väter im 21. Jahrhundert?
"Strict Father, kind Mother" – als sich Chinas Familienleben noch an der konfuzianischen Tradition orientierte, war eine patriarchalische Familienstruktur vorgegeben. Erst hat Amy Chua mit ihrem Erziehungs-Bestseller „Battle Hymn of a Tiger Mother" für Furore gesorgt und das Licht auf die Erziehungsmethoden asiatischer Mütter gerichtet. In der vergangenen Zeit haben nun chinesische Väter Schlagzeilen gemacht. Einer, Xiao Baiyou, brüstet sich damit, seine Kinder auf die Peking Universität geprügelt zu haben. Der andere, Wang Dingsen, drillt seinen Vierjährigen zu sportlichen Extremleistungen und nennt diesen Erziehungsansatz progressiv.
Yan Wei ist auch Vater eines kleinen Sohnes. Er bezeichnet das Verhältnis zu dem 7-jährigen Yi'an als freundschaftlich. Im Vergleich zu seinem eigenen Vater sei er offener. Der war als Soldat immer nur auf „Urlaub" bei seiner Familie und hat viel Wert auf Disziplin gelegt.
„Was die Erziehung anbelangt, finde ich es besonders wichtig, dass die Eltern den Kindern die Grundmoral eines Menschen beibringen. Dazu gehören unter anderem Aufrichtigkeit, Toleranz und Einfühlungsvermögen."
Der 38-Jährige Redakteur hat nicht viel Zeit für seinen Sohn. Am Wochenende versucht er, das wettzumachen. Auch Li Xiang, der bei einem Verlag arbeitet, empfindet die drei Stunden, die er unter der Woche mit seiner Tochter verbringen kann, als zu wenig. Die kleine Lexin ist 17 Monate alt, ihr Name bedeutet „glückliches Herz". Li Xiang hat diesen Namen ausgesucht. Er legt Wert auf Freiheit und Natur. Freiheit bedeutet für Li in diesem Zusammenhang Raum für selbständiges Denken und eigene Entscheidungen. Unter Natur versteht der junge Vater, dass das Kind nicht gezwungen wird. Früher war das anders, da habe es klare Trennlinien gegeben.
„Ich will kein strenger Vater werden. Mein Vater war damals streng zu mir. Mir ist eine Beziehung mit dem Kind lieber, die der zwischen Freunden ähnelt. Es soll harmonischer und natürlicher werden und nicht wie das frühere Bild: Vater ist Vater und Kind ist Kind. Es gab damals zwei deutliche Schichten in der Vater-Kind-Beziehung. Die Meinungen der Väter waren äußerst wichtig. Die Kinder mussten immer gehorchen, auch wenn sie manchmal Recht hatten."
Die Mutter des 32-Jährigen ist von seinen Vaterqualitäten überzeugt. Für sie liegt der Hauptunterschied bei einem generationenübergreifenden Vergleich in der Bildung. Früher habe es vielen an ebendieser gefehlt, aus historischen Gründen. Daraus würden natürlich auch Unterschiede in den Erziehungsmethoden resultieren.
Den typisch chinesischen Vater gibt es nicht, auch keinen typisch deutschen oder amerikanischen. Yan Wei erklärt noch, dass zu einem modernen chinesischen Vater auch Aufgaben im Haushalt gehörten. Die Erziehung übernehme man gemeinsam. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Die eingangs erwähnten „Musterväter" zählten zu diesen:
„Ich habe von dem ‚Wolf Vater' oder dem ‚Adler Vater' gehört. Aber ich bin nicht für diese Art und Weise der Erziehung. Meiner Meinung nach sind die Kinder von Natur her frei und munter. Die Eltern sollen eine lockere, von Toleranz geprägte, gemütliche Umgebung für ihre Kinder schaffen. 'Wolfs' oder ‚Adler Väter' sind in China eher Einzelfälle, denn, so zumindest mein Eindruck, besonders die jüngeren Eltern legen bei der Erziehung ihrer Kinder viel mehr Wert auf Toleranz und Freiheit."
Dass Ausnahmen bzw. Extremfälle besondere Aufmerksamkeit erregen, gilt wohl für sämtliche Bereiche der Gesellschaft. In allen Kulturen sind Rollenbilder im Fluss. Bereits Anfang der 90er Jahre hieß es in einem Bericht im Internationalen Magazin für Familiensoziologie, dass chinesische Väter sich mehr in die Kindererziehung einbringen. Gleichzeitig spielten traditionelle Aufgaben wie die Lehrfunktion und Disziplinierung weiterhin eine große Rolle. Durch wirtschaftliche und kulturelle Öffnung, neue Sozialpolitiken und Einflüsse aus dem Westen wird sich die Familienstruktur im modernen China weiter verändern.
Viele Ein-Kind-Eltern setzen all ihre Hoffnung und Wünsche in ihren Nachwuchs. Die Konkurrenz um Erfolg gerade in der Ausbildung ist in einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen groß. Yan Wei und Li Xiang haben keine Vorgaben oder speziellen Erwartungen an ihre Kinder. Am Wichtigsten sei, dass Dudu und Tiaotiao, so werden die beiden gerufen, später einmal das Leben führen können, das sie sich wünschen.
Geschrieben von Marie Müller-Diesing
Gesprochen von Marie Müller-Diesing