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Wenn die Kurzsichtigkeit als eine Krankheit gilt, sind drei Viertel der Mittelschulkinder in China betroffen. Brillen sind neben Schultaschen und Schreibwaren zu einer weiteren Notwendigkeit des Schulalltags geworden. Ein Schüler in der ostchinesischen Stadt Nanjing muss seit der sechsten Klasse eine Brille tragen, wie viele andere im Klassenzimmer.
„Mehr als die Hälfte sind kurzsichtig, mindestens 20 von uns."
Seit den 70er Jahren wird in chinesischen Schulen Augengymnastik praktiziert. In der Pause zwischen den Unterrichtseinheiten massieren die Schüler bei musikalischer Begleitung die Akupunkturpunkte der Augen. Durch die Akupressur um die Augen soll die Sehkraft der Schüler erhalten bleiben. Dennoch scheint die Kurzsichtigkeit unaufhaltsam zu wachsen. Huang Min ist Pioneerbetreuerin einer Schule in Nanjing. Ihr zufolge müssen die Kinder aufgrund des immer lauteren Rufs der Gesellschaft viel weniger Hausaufgaben erledigen als früher. Doch zu Hause sind die Kinderaugen wohl noch beschäftigter denn je. Huang Min sagt,
„Bei Mittelschülern in der siebten Klasse haben wir eine steigende Tendenz zur Kurzsichtigkeit festgestellt. Die Schüler nutzen häufig Handys, elektronische Übersetzer oder Pads."
Hu Ailian, Ärztin für Augenheilkunde im Beijinger Tongren-Krankenhaus führt seit mehreren Jahren Untersuchungen über Kurzsichtigkeit in Grund- und Mittelschulen in der chinesischen Hauptstadt durch. Die Ergebnisse zeigen, dass die Altersgruppe in denen Kurzsichtigkeit auftritt immer jünger wird. Die geschwächte Sehfähigkeit ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass die Kinder beim Lesen oder Schreiben zu wenig Abstand zum Text halten. Dazu Frau Hu:
„Ob Bildschirme, Karikaturen oder Hausaufgaben, solange man zu wenig Abstand hält und keine Pause für die Augen macht, steigt das Risiko der Kurzsichtigkeit. Manche Kinder schreiben ihre Hausaufgaben, indem sie den Kopf im gebeugten Ellenbogen auf dem Tisch versenken. Wenn sie Computerspiele spielen, sitzen sie stundenlang vor dem Bildschirm. All dies trägt zur Kurzsichtigkeit bei."
Dazu kommen noch die Nachholkurse, zu denen Eltern ihre Sprösslinge anmelden. Wohl zum Ausgleich für die Mühen der Schule schenken sie den Kindern Tablets, in der Hoffnung, dass die Kinder damit dem Leistungsdruck etwas entfliehen können. Manche Eltern überlassen den Kindern auch solche Spielzeuge, um sich von der Kinderbetreuung zu befreien. Mit schlechten Folgen für die Augen, wie eine Mutter erzählt:
„Ich und mein Mann haben bei der Arbeit viel Stress. Nach dem Feierabend sind wir ganz schön KO. Wir sind häufig nicht in der Lage, uns um das Kind zu kümmern. Falls er unruhig ist, lassen wir ihn fernsehen oder Ipad spielen. Nach einiger Zeit entdeckten wir, dass er immer schlechter sieht, bis er schließlich eine Brille tragen musste."
Augenexpertin Hu Ailian fordert deswegen mehr Engagement der Eltern, um ihre Kinder vor Kurzsichtigkeit zu schützen. Die Tatsachen sind alarmierend: unter den neun am häufigsten auftretenden Augenkrankheiten der Kinder unter 14 Jahren rangiert Kurzsichtigkeit an erster Stelle. Es ist also höchste Zeit, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Sonst muss das Land wohl wirklich umbenannt werden.
Text: Li Zheng
Sprecher: Huang Gang