Teenager-Kritzeleien in Luxor: Hat Chinas Moralerziehung versagt?
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Als der 15-jährige Ding Jinhao aus der ostchinesischen Provinz Jiangsu seinen Namen in ein antikes Steinrelief im 3500 Jahre alten Tempel von Luxor kratzte, rechnete er wohl nicht damit, dass dies der Anfang eines internationalen Skandals sein würde.
Das fehlende Bewusstsein des chinesischen Teenagers für die Folgen seiner „Verewigung" wird von vielen auf die ungenügende Moralerziehung in China zurückgeführt.
Doch bei wem liegt die soziale Verantwortung für die Vermittlung von Sitte und Moral. Bei den Eltern? Bei der Gesellschaft?
Der Gesundheitspsychologe, Dr. Stephen-Claude Hyatt ist Leiter der Abteilung für psychische Gesundheit am Internationalen SOS-Krankenhaus in Beijing.
Für den Mediziner, der sich in Beijing seit sieben Jahren umfassend mit Kindern und Teenagern beschäftigt, liegt die Verantwortung eindeutig bei den Eltern.
"Eltern haben die Aufgabe sicherzustellen, dass ihre Kinder verstehen, was sozial akzeptabel ist und was nicht. Das Kritzeln, und noch vielmehr das Ritzen auf einem alten Grab ist mit Sicherheit inakzeptabel, denn es beschädigt nicht nur das Denkmal, sondern zerstört auch den Anblick für die anderen Besucher. Als Kind, Teenager und Erwachsener haben wir bestimmte Verantwortungen, die von Anfang an vermittelt werden müssen."
Dr. Hyatt sagt, das Aufzeigen von Grenzen sollte beginnen, sobald Kinder anfangen zu sprechen und sollte auch nach dem Eintritt ins Schulalter beibehalten werden.
"Die Grundregel bei der Erziehung ist, Grenzen zu setzen und Kindern beizubringen, was annehmbares Verhalten ist und was nicht. Es geht um richtig und falsch, und ich denke, sobald Kinder anfangen zu sprechen, müssen sie das vermittelt bekommen. Die Gesellschaft schenkt der akademischen Leistung viel zu viel Aufmerksamkeit. Ich denke, wir sollten der sozialen Verantwortung, die ein Kind erlernen muss, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Für mich ist in den letzten sieben Jahren deutlich geworden, dass man nicht genug Wert auf die soziale Verantwortung legt, im Vergleich zu der Bedeutung, die man den schulischen und universitären Leistungen beimisst. Hier läuft was falsch und hier müssen wir ansetzen."
Nachdem die Identität von Ding Jinhao im Internet bekannt gemacht wurde, haben sich seine Eltern öffentlich entschuldigt und erklärt, die volle Verantwortung für die Handlung ihres Sohnes zu übernehmen.
Einige Pädagogen in China bemängeln aber auch das Bildungssystem in China, das keine ausreichende Moralerziehung zur Verfügung stelle.
Professor Huang Hongji, Direktor des Shanghaier Jugendforschungsinstituts.
"Ich glaube wir alle gemeinsam stehen in der Verantwortung, Kindern die Grundzüge unserer moralischen Werte zu vermitteln. Zuallererst müssen die Eltern sich natürlich für diesen Vorfall entschuldigen. Gleichzeitig aber müssen auch wir Pädagogen uns entschuldigen. Ich denke, dass dieses Ereignis sehr beschämend für uns alle ist. Unsere Erziehung konzentriert sich nur auf akademische Leistungen, auf die Entwicklung der Intelligenz und Disziplin des Kindes. Die Vermittlung von moralischen Werten bleibt auf der Strecke. Ich denke, wir müssen unsere Erziehungsstandards wieder näher an das wirkliche Leben bringen, denn zurzeit fehlt die Vermittlung einer grundlegenden Sozialmoral."
Falls die öffentliche Debatte über das Fehlverhalten von Teenager Ding ein Hinweis auf die Bereitschaft der Gesellschaft Chinas ist, mehr Wert auf Moralerziehung zu legen, dann könnte eine Veränderung schneller eintreten als manche für möglich halten.
Übersetzt von Li Yan
Gesprochen von Liu Xin Yue