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Alt, höher, Dingzhou
  2012-02-06 10:59:55  cri
Trotz ihrer uralten Riesen-Pagode ist die Stadt Dingzhou noch immer ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte Chinas. Ein toter Sänger könnte das jedoch schon bald ändern.

Das Jahr 1001 stellte in der europäischen Geschichte trotz seiner magischen Zahlenfolge keine einschneidende Zäsur dar. Bis zu den Kreuzzügen sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern und die Pest war noch ein Fremdwort. Auch die heute als gesichert geltende Landung des Wikingers Leif Eriksson in Nordamerika schlug damals keine hohen Wellen.

Im chinesischen Dingzhou, vier Busstunden von Beijing entfernt, begann im Jahr 1001 hingegen eine neue Zeitrechnung. Der Entscheid von Kaiser Song Zhenzong, hier eine Pagode zur Aufbewahrung der heiligen buddhistischen Schriften zu bauen, die der Mönch Hui Neng aus Indien mitgebracht hatte, sollte das Bild der Kleinstadt in der Provinz Hebei für immer verändern.

In den nächsten 54 Jahren entstand in Dingzhou ein Bauwerk, das heute als Chinas größte erhaltene Pagode aus dem Altertum gilt. Die knapp 84 Meter hohe Liaodi-Pagode, so ihr Name, wurde hauptsächlich aus Ziegelsteinen errichtet und steht auf einem rund zwei Meter hohen Sockel mit einem achteckigen Grundriss. Höher war bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1055 nur die hölzerne Pagode in der damaligen Kaiserstadt Chang'an (das heutige Xi'an). Der Einhundert-Meter-Koloss aus dem Jahr 611 steht jedoch schon lange nicht mehr. Zum Vergleich: der weltbekannte Schiefe Turm von Pisa, mit dessen Bau ein Jahrhundert nach Fertigstellung der 84 Meter hohen Dingzhou-Pagode begonnen wurde, bringt es gerade mal auf 55 Meter.

Ihre außergewöhnliche Höhe verdankt die elfstöckige Liaodi-Pagode freilich nicht nur dem Respekt, den ihre Erbauer Buddha entgegenbrachten, sondern in erster Linie strategischen Überlegungen. Das heute im Niemandsland zwischen Baoding und Shijiazhuang gelegene Dingzhou lag im 11. Jahrhundert an der Grenze zwischen zwei verfeindeten Reichen. Der Name „Liaodi" – „Die Absichten des Feindes erkennen" – erinnert bis heute an den militärischen Zweck dieses imposanten Sakralbaus.

Die Dresdner Bank hat im Jahr 1999 den Zusammenhang zwischen gigantischen Bauprojekten und Wirtschaftskrisen untersucht. In ihrer Studie kommt sie zum Schluss, dass Rekorde im Hochbau fast automatisch Rezessionen nach sich ziehen. Die stark heruntergekommene Altstadt von Dingzhou scheint diese These zu bestätigen. Die Gegend um das südliche Stadttor, in der die Liaodi-Pagode liegt, sieht aus, als hätte der Bau dieses für damalige Verhältnisse Mega-Turms ein Loch in die Stadtkasse gerissen, das bis heute nicht gestopft werden konnte.

Der Überlieferung zufolge hat der Bau der Pagode auf jeden Fall soviel Holz verschlungen, dass bei ihrer Fertigstellung das Holz in der Stadt knapp geworden war. Die im Innern angebrachten Stützpfeiler und Deckenverkleidungen aus Holz gelten als Hauptgrund dafür, dass die Pagode bisher zehn Erdbeben überstanden hat.

Allerdings musste sie auch schon ebenso oft renoviert werden – inklusive einer Totalsanierung zwischen 1988 und 2003, nachdem eine ganze Seite eingestürzt war. Durch diesen Einsturz wurde zugleich erstmals klar ersichtlich, dass die Außenwand und die einzelnen Stockwerke der Pagode durch eine zweite Pagode in ihrem Innern zusammengehalten werden. Eine solch zwiebelartige Struktur ist für Pagoden genauso ungewöhnlich wie eine Höhe von 84 Metern.

Größenmäßig nicht ganz mithalten mit der vorneuzeitlichen Pagode kann das nur unweit entfernte Denkmal von Zhang Hanhui, dem berühmtesten Sohn von Dingzhou. Im Unterschied zum architektonischen Wahrzeichen der Stadt hat es der im Jahr 1902 geborene Liederschreiber zu nationaler Berühmtheit gebracht. Seine patriotischen Lieder wie „Auf dem Songhua-Fluss" aus der Zeit des Widerstandskriegs gegen die japanischen Invasoren gehören noch heute zum musikalischen Kanon der Volksrepublik.

Eine 30-teilige Fernsehserie über das Leben von Zhang Hanhui mit Drehs an den Originalschauplätzen ist derzeit in Bearbeitung. Gut möglich also, dass die tausendjährige Riesen-Pagode von Dingzhou in China bald so bekannt sein wird wie der legendäre Musiker, der in ihrem Schatten groß wurde.

Reisetipps:

Dingzhou (定州) ist von Beijing aus mit dem „Dong Che" in 90 Minuten erreichbar.

Die Liaodi-Pagode (料敌塔) befindet sich zehn Taxi-Minuten vom Bahnhof entfernt auf dem ehemaligen Gelände des Kaiyuan-Tempels. Ihr Eingang ist nicht ganz leicht zu finden: vom neu gestalteten Pagoden-Vorplatz an der Hauptstraße müssen Sie etwa 300 Meter entlang der Tempelmauer in Richtung südliches Stadttor (南门) laufen und dann links abbiegen. Falls Ihnen Hühner über den Weg laufen, sind Sie goldrichtig.

Im Innern der Tempelanlage gibt es Infotafeln in englischer Sprache.

Leider kann man die Pagode nicht immer besteigen. Als Alternative für einen Rundblick über die Altstadt von Dingzhou bietet sich das unweit entfernte südliche Stadttor an.

Dingzhou eignet sich hervorragend als Zwischenstopp von Zhengding nach Beijing. Busse zwischen Zhengding und Dingzhou verkehren regelmäßig.

Viel Spaß in Dingzhou!

Text und Fotos: Simon Gisler

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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