Es ist ein Paradies für alle Naschkatzen. An den Ständen eines traditionellen Süßwarenladens in Beijings bekannter Einkaufsstraße Wangfujing stapeln sich feuerrot, quietschgelb und himmelblau eingepackte Bonbons, Trockenfrüchte und Schokoladen. „Touristen kaufen am liebsten diese Süßigkeiten hier", sagt Verkäuferin Qi Yajie lächelnd und kramt zwei Verpackungen mit der Aufschrift Beijing Special Products hervor.

In vielen klassischen Süßigkeiten spiegelt sich ihre lange Geschichte wider. Es ranken sich Legenden um sie, wie beispielsweise um den Lóng Xū Táng. Demnach erfreute sich den Geschichten nach bereits ein Ming-Kaiser vor über 500 Jahren an dem mehligen Süß. Er brachte den Lóng Xū Táng in den Palast, wo er lange Zeit nur ihm vorbehalten war, bis auch das Volk von ihm naschen durfte.

Auch heute erfreut sich der Lóng Xū Táng großer Beliebtheit bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen. Auffällig am Äußeren der weiß-gerollten Süßigkeit sind vor allem feine Zuckerfäden. Diese finden ihren Ursprung im Herstellungsprozess, bei dem die Zuckermasse durch stetiges Auseinanderziehen eine faserige Struktur erhält. Verkäuferin Qi Yajie bietet ein Exemplar zum Probieren an. Die Mischung aus Weizenmehl, Eiern, Sesam, Zucker und Kakaopulver schmeckt süß, mehlig und hinterlässt ein etwas staubiges Gefühl im Mund.

Ein anderes Geschmackserlebnis bietet dagegen die traditionelle Hauptstadt-Süßigkeit Fú Líng Bǐng. In seiner vollmondrunden Form besteht der Fú Líng Bǐng aus Mehl, Zucker, Honig, Sesam und Kokospilz. Letztere Zutat findet auch in der traditionellen chinesischen Medizin Anwendung, unter anderem für die Kräftigung der Milz und zur Stärkung des Nervensystems. So wird auch dem Fú Líng Bǐng eine gesundheitsstärkende Wirkung zugesagt. Im Geschmack entfaltet sich neben einer süßen auch eine herb-nussige Note. Eine Mischung aus süßen und herberen Inhaltsstoffen ist allgemein bei chinesischen Süßigkeiten zu beobachten. Damit verschwimmt die uns Europäern bekannte Grenze zwischen Süßigkeit und Snack.

Bei meiner Frage nach westlichen Süßigkeiten verweist mich Verkäuferin Qi Yajie mit einer Handbewegung auf einen nah gelegenen Supermarkt. Dort angekommen wird eines schnell klar. Längst haben die großen westlichen Süßwaren-Exporteure das Potential des chinesischen Konsummarktes erkannt. In hohen Regalen türmen sich neben chinesischen auch immer mehr westliche Produkte.

Erst im Sommer dieses Jahres kaufte der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé für 1,2 Milliarden Euro 60 Prozent der chinesischen Süßwaren-Firma Hsu Fu Chi. Die rasant wachsende Wirtschaft und die wohlhabender werdende Mittelschicht haben China zu einem der wichtigsten internationalen Konsummärkte aufsteigen lassen. Damit ist das Land der Mitte auch für westliche Süßwarenproduzenten lukrativ geworden. Vor allem der Schokoladenmarkt wird von ausländischen Marken wie Dove und Hershey's Cadbury dominiert. Und der Hunger auf Schokolade wächst bei den Chinesen.

Eine bittende Kinderstimme dringt aus einer der nächsten Regalreihen. Ein Blick gibt einen etwa fünfjährigen Jungen frei, der seiner Mutter mit erhobenen Händen einen Schokoladenriegel entgegenstreckt. Die Mutter willigt in den Kauf ein. Und so naschen die „kleinen Kaiser" von heute mit genau so viel Freude wie die großen Kaiser von damals.

Text und Foto von Tabea Nehrbass