Anmutig, zuvorkommend und trotz ihres Erfolgs noch immer bodenständig: das ist der erste Eindruck, den die Guzheng-Virtuosin Yuan Sha vermittelt. Die 40-Jährige aus Zhejiang spielt das altchinesische Zupfinstrument nun schon seit zwei Jahrzehnten.

Dass Yuan Sha musikalisch äußerst begabt ist, zeigte sich schon sehr früh. Zum großen Erstaunen ihrer Eltern konnte sie ihre Lieblingslieder bereits im zarten Alter von vier auf einer Mini-Elektroorgel spielen. Als sie sechs Jahre alt war, wurde Yuan Sha von ihrem Vater in ein Musikgeschäft mitgenommen. Von all den Instrumenten gefiel ihr die Guzheng auf Anhieb am besten.

Yuan Sha stammt aus der abgelegenen Kreisstadt Tiantai in der Provinz Zhejiang. Damit ihre Tochter einmal die Woche bei einer erstklassigen Guzheng-Lehrerin in den Unterricht gehen konnte, scheuten ihre Eltern keine Mühen.

„Da ich in meiner Heimat keinen Guzheng-Lehrer finden konnte, schickte mein Vater mich ans Konservatorium in Shanghai. Die Autofahrt von Tiantai nach Shanghai dauerte damals 14 Stunden. Ein Teil der Strecke war eine Gebirgsstraße. Mein Vater bat einen Lastwagenfahrer, mich nach Shanghai mitzunehmen. Da Lastwagen in der Regel in der Nacht fahren, konnte ich kaum schlafen. Im Lastwagen war es zudem unbequem. Und wegen der kurvigen Bergstraße fühlte ich mich von Anfang bis Ende übel."

Die Reisestrapazen machten Yuan Sha so zu schaffen, dass sie gleich mehrere Male ans Aufhören dachte. Ihren Eltern gelang es jedoch jedes Mal, sie davon abzuhalten. Ohne sie hätte sie es nie zu einer exzellenten Guzheng-Spielerin gebracht, sagt die heute 40-Jährige Yuan Sha rückblickend.

Als Yuan Sha acht Jahre alt war, beendete ihre Lehrerin Liu Miao ihr Studium am Shanghaier Konservatorium und ging in ihre Heimat Sichuan zurück. Liu Miao war so überzeugt vom Talent ihrer jungen Schülerin, dass sie die Eltern von Yuan Sha bat, sie nach Sichuan mitnehmen zu dürfen. Um die musikalische Zukunft ihrer Tochter nicht zu verbauen, willigten Yuan Shas Eltern schweren Herzens ein.

Ein Jahr später begann Yuan Sha ihr Studium an dem Zentralen Konservatorium. Die Aufnahmeprüfung bestand sie mit Bestnoten. Ihren letzten Schliff als Guzheng-Spielerin erhielt Yuan Sha am Zentralen Konservatorium in Beijing, wo sie seit ihrem Abschluss auch als Dozentin arbeitet. Über Talent und Fleiß hat die Musikerin ihre ganz eigene Ansicht:

„Beide sind gleich wichtig, finde ich. In der Anfangsphase weiß man oft nicht, welche Entscheidung die Richtige ist. Durchhalten ist daher sehr wichtig. Zum Glück habe ich im Nachhinein gesehen die richtige Wahl getroffen. Von den Lehrern wußte ich, dass ich ein angeborenes Talent für Musik habe. Das war sehr wichtig für meinen Erfolg. Das Zentrale Konservatorium hat mir eine ideale Entwicklungsplattform gegeben. Dort wagt es niemand, einfach auf der faulen Haut rumzuliegen."

Sie habe ihr ganz eigenes Verständnis von Musik, sagt Professor Li Meng über seine Lieblingsstudentin Yuan Sha. Beim ersten internationalen Guzheng-Wettbewerb im November 2001 belegte Yuan Sha den ersten Platz in der Kategorie Nachwuchsspieler. Im darauf folgenden Jahr errang sie auch beim ersten nationalen Solowettbewerb für traditionelle chinesische Instrumente den ersten Platz in der Kategorie Nachwuchsspieler. Die beiden Auszeichnungen gelten als die am prestigeträchtigsten für Nachwuchsmusiker.

Im Jahr 2007 trat Yuan Sha mit ihrer Guzheng auch im Ausland auf. An der Schlusszeremonie des „China-Jahres" in Russland verzauberte sie zusammen mit einem Sinfonieorchester die Gäste mit dem Lied „Yu Zhou Chang Wan". Auf Deutsch: „Der Fischer singt in der Abenddämmerung". Hören Sie nun einen Ausschnitt dieses musikalischen Miteinanders von Ost und West.

Yuan Sha hat sich stets darum bemüht, traditionelle chinesische Musik einem breiteren Publikum näher zu bringen. Sie trat schon in über 30 Ländern auf. Zudem hat sie schon mehrfach mit namhaften chinesischen und ausländischen Sinfonieorchestern zusammengearbeitet. Die ausländischen Medien sehen in ihr eine hervorragende Repräsentantin für die Kombination traditioneller chinesischer Musik und Musik aus der Gegenwart.

Seit ihrem 28. Lebensjahr träumt Yuan Sha davon, die Guzheng zum landesweit populärsten Instrument zu machen. Mit der Gründung des Guzheng-Instituts, Chinas erster Hochschule für das Studium der Guzheng, im Jahr 2005 ist ihr Traum teilweise in Erfüllung gegangen. Rund zehntausend Studenten sind bisher am Guzheng-Institut ausgebildet worden. Zusammen mit Yuan Sha haben sie maßgeblichen Anteil an der Popularisierung dieses traditionsreichen Instrumentes auf dem chinesischen Festland. Über die Zukunft ihres Lieblingsinstruments macht sich Yuan Sha inzwischen keine Sorgen mehr:

„Die Chinesen interessieren sich seit einigen Jahren immer mehr für die nationale Kultur. Das ist eine gute Sache. Die Guzheng ist für Anfänger ähnlich leicht wie das Klavier. Außerdem ist die Klangfarbe der Guzheng wunderschön. Ihr Entwicklungspotenzial ist daher groß."