Glaubwürdigkeit ist das Lebenselixier einer jeden Gesellschaft. Seit China jedoch wegen mehrerer Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch von einer schweren Glaubwürdigkeitskrise erschüttert wurde, haben Wohltätigkeitsorganisationen und Öffentlichkeit angefangen, darüber nachzudenken, wie man den Spendenprozess transparenter gestalten kann. Mehr dazu im nächsten Beitrag
Diesen Juni kam eine junge Frau namens Guo Meimei zu zweifelhaftem Ruhm. Sie hatte behauptet, Geschäftsführerin von „Red Cross Commerce" zu sein – einer Organisation, von der das Chinesische Rote Kreuz keine Kenntnis hat. Auf ihrem Microblog stellte sie eine Privatsammlung ihrer Besitztümer zur Schau: ein Luxusauto und mehrere teuere Handtaschen. Dieses Verhalten erweckte in der Öffentlichkeit den Verdacht, dass die Spenden für die Wohltätigkeitsorganisation teilweise in Guo Meimeis Designer-Handtaschen verschwunden waren.
Medienberichte, in denen daraufhin detailliert Fälle aufgedeckt wurden, in denen Spendengelder zweckentfremdet oder falsch verwendet worden waren, sorgten zusätzlich für einen negativen Ruf der chinesischen Wohltätigkeitsorganisationen. Die „China Foundation for Poverty Alleviation" beispielsweise hat sich dem Kampf gegen Armut verschrieben und ist eine der größten Organisationen des Landes. Dieses Jahr konnte sie nur die Hälfte der Spenden sammeln, mit denen eigentlich gerechnet worden war.
Coco ist seit 2006 bei einer internationalen Wohltätigkeitsorganisation in Beijing dafür verantwortlich, Spenden zu sammeln. Auch wenn sie ihren echten Namen nicht nennen will, so erzählt sie uns doch, welche Auswirkungen die Krise auf ihre Arbeit hat.
„Ich habe kleine Veränderungen in der Haltung der Öffentlichkeit zur Wohltätigkeit bemerkt. Beispielsweise haben Fragen von Freunden und sogar Fremden zugenommen, die nun wissen wollen, ob es eigentlich noch Leute gibt, die Wohltätigkeitsorganisationen vertrauen und diesen Organisationen noch Geld spenden. Ich finde, das spiegelt ganz gut wieder, wie ernst die Lage für wohltätige Organisationen und Stiftungen ist. Es ist eine Frage der Redlichkeit und der Vertrauenswürdigkeit."
Coco meint, der Zeitpunkt der Krise sei ungünstig und habe diesem gerade aufblühenden Sektor höchstwahrscheinlich einen schweren Schlag versetzt. Sie erinnert sich noch, dass zu Anfang ihrer Arbeit im Bereich Fundraising nur wenige wussten, was sie tut und warum sie es tut.
Fünf Jahre später ist das Bewusstsein für soziale Verantwortung sowohl in der Bevölkerung, als auch bei Unternehmen gestiegen. Dies hat zu einem Anstieg des öffentlichen Interesses an karitativen Programmen geführt. Skandale jedoch haben einen negativen Einfluss auf die Entwicklungsdynamik. Bis diese wieder Fahrt aufnimmt, glaubt Coco, könne es lange dauern.
„Ein Problem, das durch diese Skandale zutage tritt, ist das Thema Transparenz. Egal, ob es sich um eine große oder kleine Spende handelt, ob es 100 oder 100.000 Yuan sind, haben die Spender das Recht zu erfahren, wie ihr Geld verwendet wurde. Und Wohltätigkeitsorganisationen haben die Pflicht, diese Informationen zur Verfügung zu stellen. In meiner Organisation folgen wir streng vorgeschriebenen Schritten, um einen offenen und transparenten Prozess sicherzustellen. Der Spender bekommt von uns nicht nur eine Spendenbescheinigung, sondern auch Informationen darüber, wie das Geld verwendet wurde und wie die Empfänger darauf reagiert haben."
Bei Cocos Organisation kommen 90 Prozent der Spendengelder aus Nordamerika oder Europa. „Angel Mom" hingegen wurde von Chinesen gegründet und finanziert. Wie der Name bereits ahnen lässt, hat man sich dort der Hilfe für Kinder verschrieben – besonders für Waisen und ausgesetzte Kinder, die ohne schnelle medizinische Behandlung sterben würden.
Deng Zhixin hat „Angel Mom" 2007 zusammen mit einer Gruppe junger Mütter gegründet und finanziert. Ursprünglich wollten sie Kindern helfen, die aufgrund von Geburtsfehlern von ihren Eltern ausgesetzt wurden. Vier Jahre nach der Gründung hat sich „Angel Mom" zu einem provisorischen Pflegezentrum entwickelt, in dem diese Kinder versorgt werden. Einige nehmen an Reha-Maßnahmen teil, andere warten auf weitere medizinische Behandlung. Auf der Website – angelmom.org – gibt es einen Bereich, in dem Spender sich über die Verwendung ihrer Gelder informieren können. Deng Zhixin erzählt, dass ein Großteil der Spenden, die bei ihrer Organisation eingehen, von Privatpersonen stammt. Dies betrifft sowohl Geld- als auch Sachspenden.
Bei „Angel Mom" dürfen Projektmanager prinzipiell auch Spenden eintreiben. Meist jedoch erfahren die Spender online von den Schicksalen der Waisen und entscheiden sich dann, via Internet ihre Hilfe anzubieten. Laut Deng Zhixin hatte die Vertrauenskrise im Wohltätigkeitsbereich keine allzu großen Auswirkungen auf ihre Organisation. Schon seit der Gründung hatte man bei „Angel Mom" andere Wege der Geldbeschaffung eingeschlagen, als die größeren staatlich finanzierten Wohltätigkeitsverbände. Außerdem hält sich die Organisation an strenge Vorgaben, wenn es darum geht, die Spender darüber zu informieren, wie ihre Gelder verwendet wurden.
„Bei „Angel Mom" kann jeder Cent nachverfolgt werden. Wir machen eine Abrechnung über die Spenden, die wir bekommen und belegen unsere täglichen Ausgaben. Diese Informationen aktualisieren wir wöchentlich auf unserer Website."
Deng Zhixin sagt, ihr größtes Problem sei der Mangel an Unabhängigkeit, wie bei den meisten nicht-staatlichen Wohltätigkeitsorganisationen in China. Nach den Bestimmungen müssen sich NGOs an staatliche Agenturen binden, um sich offiziell registrieren zu können. „Angel Mom" ist einer staatlich unterstützten Stiftung angeschlossen und hat daher keine unabhängige Identität. Dies wird zu einer Hürde, wenn die Organisation durch eigene Projekte Gelder aufbringen will.
„Auf der einen Seite erleichtert der Anschluss an die staatlichen Organisationen eine Reihe von Hilfsprogrammen. Aber auf der anderen Seite behindert er unsere Entwicklung. Da wir über kein eigenes unabhängiges Konto verfügen und einige rechtliche Fragen nicht näher ausgeführt sind, werden wir von der Durchführung unserer eigenen Initiativen abgehalten."
Ende letzen Jahres waren in China mehr als 440.000 NGOs registriert. Viele von ihnen nennen Wohltätigkeit als Arbeitsziel.